Region 12
Lech, Bodensee, Allgäu

Wildfräuleinstein

Wo die wilden Fräulein wohnen
Elisabeth Wintergerst


Allgäuerinnen können stur sein, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt haben, dann sind sie nicht so leicht von ihrem Vorhaben abzubringen. Hildegard Simon aus Hinterstein ist Künstlerin und bearbeitet in ihren Schöpfungen gerne mythologische Themen. Elisabeth Wintergerst, Rechtsanwältin und Autorin aus Füssen, forscht ebenfalls seit Jahren im Bannkreis der Mythologie des Allgäus und des Außerferns. Zusammen mit den Macherinnen von "Godeweg" Daniela Parr und Uscha Madeisky wollten sie den Wilden Fräulein, an dem nach ihnen benannten "Wildfräuleinstein" einen Besuch abstatten. Zunächst jagde ein Regenschauer den anderen und in der Nacht zuvor hatte sich ein Sturm im Hintersteiner Tal ausgetobt. Doch dann brach die Sonne durch und in der klaren Luft war die Landschaft in wunderbares Licht getaucht. Eine Landschaft, in der Mutter Erde ihren ganzen Reichtum an Kräutern und Blumen zeigt. Und so wurden die vier Frauen mit einen erfüllten Tag beschenkt.

                   


Zum Wildfräuleinstein gibt es folgende Sage:
In dieser Höhle hausten vor Zeiten wilde Fräulein. Wieviel es ihrer waren, kann man heute nicht mehr sagen, aber man weiß, daß drei von ihnen Rezabell , Stutzamuzza und Hurlahutsch hießen. So erschienen sie den Bergheuern und Sennen, waren freundlich gegen die Menschen, ja manchmal kamen sie bis nach Hinterstein in die Häuser. Einmal heiratete eines der Fräulein einen Burschen aus dem Dorf, aber ausdrücklich unter der Bedingung, daß man ihr keinen Namen gebe. Denn, würde man zufällig ihren Wirklichen treffen, so, müßte sie sogleich fortgehen. Der Bursche und das Fräulein lebten lange glücklich miteinander. Auch die Nachbarn hatten die fleißige Frau lieb. Eines Tages stand sie im Garten und wurmte das Kraut ab. Da kam ein anderes Weib des Weges, die rief über den Zaun: "Oh mei liabs Getrüdle, wia fresset dia Würmle deine Krütle." Da wurde das Fräulein leichenblaß, fing an zu weinen und klagte bitterlich darüber, daß sie nun nicht mehr bleiben dürfe, da man sie bei ihrem richtigen Namen genannt habe.


Der Wildfräuleinstein liegt 45 Gehminuten oberhalb von Hinterstein. Der beeindruckende Felsen mit seinen drei Aushöhlungen, die oberen "Kuche und Gaden" genannt, dürfte bis zurück in die Altsteinzeit Behausung der ursprünglichen Bevölkerung gewesen sein. Die Künstlerin Hildegard Simon hat die sagenhaften wilden Frauen als Schattenfiguren geschaffen und das Umfeld des geheimnisvollen Ortes damit bereichert.

Der Name "Rezabell" hat einen Anklang hin zu "Raetia Bella" (schöne Göttin Raetia). Im früheren Sprachgebrauch bedeutete "Wildes Fräulein" nicht unverheiratet oder jungfräulich. Vielmehr wurde "Fräulein" nur für edle und hohe Wesen, bzw. Adelige verwendet.

Weiter findet sich in der Sage eine Namensmagie, dass ein Wesen die Menschen verlassen muss, wenn es erkannt wird, in dem es richtig benannt wird. Das Göttlich-Heilige bleibt wild und darf nicht benannt werden, weil es sonst zu klein gemacht wird und dem menschlichen Bewußtsein untergeordnet wird. Hier ist es "Gertrüdle", was schließen lässt, dass es sich vielleicht um eine Trute/Drude handelt. Truden sind weibliche Nachtgeister, die drücken. In anderen Erzählformen sind es Frauen, die in der Wildnis aufwachsen und so lange treu bei den Menschen leben, bis sie zurück in ihre Welt gerufen werden. Sie werden mit buschigen Augenbrauen beschrieben, die über der Nase zusammenwachsen. In den Tiroler Sagen geschieht der Rückruf oftmals dadurch, dass ihnen der Tod eines Verwandten mitgeteilt wird und die Trude dessen Stelle einnehmen muss. Die Trude kann als dämonisierte Aspekt der Göttin Diana/Tanna (Artemis) angesehen werden. Diese war für den Schutz der Kinder zuständig. Die Mondsichel war ihr Symbol. Es wurde als Schutzzeichen in viele Kinderwiegen geschnitzt.

Der Bezug zu "Gertrüdle" ist auch in anderer Hinsicht bewußt gewählt. Mit dem Gertrudentag, 17. März, beginnt die Arbeit des Gärtners ("Gertraud den Garten baut") In der Verehrung der Gertrud, die dem Garten Schutz und Fruchtbarkeit schenken soll, schwingt die Frühjahrsgöttin (Ostara, Nerthus) mit.

Höhlen und Wölbungen in den Fels sind ein Zugang zum Leib von Mutter Erde und zu den Ahninnen. So ist damit auch immer ein In-Verbindung-Treten/Kommunikation mit Wesenhaftem möglich, Seelen kommen aus der Mutter und gehen in das Numinose der Mutter zurück. Vergleichen kann man dies mit dem Schöpfen von Wasser - das Vorbild für jede Schöpfung und jedes Geschöpf.
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Elisabeth Wintergerst
Rechtsanwältin
Brunnengasse 12
87629 Füssen
DEUTSCHLAND

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