Region 11
Fichtelgebirge, Franken, Altmühltal


Auf den Spuren des Pfeiffers
Eine Führung mit Claudia Lodders
von Doreen Doristochter

Unsere diesjährige Fahrradtour führt uns an die Tauber. Der Bericht, den Claudia Lodders uns zugeschickt hat, begeistert uns so, dass wir uns die Gegend unbedingt anschauen wollen. Claudia hat Zeit, uns zu führen. Wir treffen sie am Abend bei ihr zu Hause, wo sie uns schon mal auf die Führung einstimmt, uns eine Menge Fotos und Karten zeigt und uns ganz neugierig auf den nächsten Tag macht.

Am frühen Morgen des nächsten Tag fahren wir in Claudias Auto nach Niklashausen. In diesem Ort predigte im Jahre 1476 Hans Pfeiffer und viele tausend Menschen kamen damals in den kleinen Ort, um als Schwestern und Brüder zusammen zu leben. Hans Pfeiffer sprach zu ihnen über die Gleichwertigkeit aller Menschen und über die Göttin Maria. Es handelt sich dabei um die alte Göttin Holle.

Heute befindet sich in Niklashausen ein kleines Hans-Pfeiffer-Museum. Den Schlüssel dafür holen wir uns ein paar Türen weiter. Viele Fotos, Berichte, Kunstwerke, Bücher und Plakate rund um das große Laufen und Hans Pfeiffer wurden zusammengetragen und sind hier ausgestellt. Das große Laufen war eine Massenbewegung von über 30.000 Menschen, die ins Taubertal kamen, um die revolutionären Ideen von Hans Pfeiffer anzuhören. Er sprach von der Göttin Maria und dass das Land und das Wild allen gehöre. Die Menschen blieben im Taubertal, um dieses Vision des gleichberechtigten Zusammenleben gemeinsam umzusetzen.

Ganz in Ruhe sehen wir uns im Museum um. Claudia zeigt uns ihren Eintrag im Gästebuch von vor ein paar Wochen. Sie schreibt vom matriarchalen Widerstand im Holle-Land. Claudia erzählt uns auch, dass in vielen Büchern versucht wird, die Visionen des Hans Pfeiffers anderen Menschen, wie z.B. christlichen Würdenträgern oder Einsiedlern zuzuschreiben. Für Claudia ein klarer Fall eines Verharmlosungsversuches der Bedeutung des großen Laufens. Die wichtige Seite der Spiritualität wird im Museum nicht oder nur in Ansätzen beleuchtet. So wird kaum klar, warum so viele Menschen nach Niklashausen strömten, um von der Maria zu hören und neue – alte – Wege des Zusammenlebens zu erforschen. Das reiche Hintergrundwissen von Claudia, ihre Erläuterungen und ihr Bericht runden für uns das Bild ab. Nach einer ganzen Weile haben wir alle Fotos und Plakate gesehen und verlassen das kleine Museum in Richtung der Kirche des Ortes.

Die Kirche von Niklashausen, in der Hans Pfeiffer sprach, wurde nach dem großen Laufen abgerissen. Der Abriss eines Gotteshauses aus einem solchen Grund ist meines Erachtens ein Novum in der Geschichte. 1518 wurde mit dem Wiederaufbau der Kirche begonnen. Der Altar von Maria ist allerdings bis heute verschollen. Claudia weist uns auf die interessante Lage der Kirche hin. Niklashausen liegt im Tal der Tauber. Von den Felsen der Holle dahinter führt eine Schlucht hinunter in den Ort. Diese Schlucht wird mit der Kirche abgeriegelt. Dadurch wurde die Göttin in der Landschaft zugebaut und ist so gut wie nicht mehr zu erkennen.

Wir lassen das Auto stehen und wandern ein paar Meter die Straße entlang. Dort beginnt die alte Steige von Niklashausen nach Höhenfeld, die links und rechts mit alten ungebrochenen großen Steinen befestigt ist. Diese wurde vor einiger Zeit wieder freigelegt, da sich Bürger aus Niklashausen für die Entbuschung des Berges und die Wiederaufrichtung der teils eingestürzten Trockenmauern des ehemaligen Weinberges einsetzten. Nach einem kleinen Aufstieg führt uns ein seitlicher Höhenweg zur von Claudia beschriebenen Höhle. Claudia sieht in der Höhle das Haupt der Holle mit ihren dunklen Augen, die über ihr Land schaut. Sie erzählt, dass die Höhle mal tiefer war. Wir gehen hinein, erforschen ausgiebig die Nischen und Ecken und setzen uns dann in Stille hin. Claudia beschenkt die Göttin in der Höhle mit getrockneten Rosenblütenblättern aus dem eigenen Garten.

Nach diesem kleinen Ritual nehmen wir Platz auf der Bank vor der Höhle, schauen hinunter auf die sich schlängelnde Tauber und das schöne Holle-Land. Claudia erzählt uns Sagen von wilden Frauen, die Segen spendeten und falls notwendig auch bestraften. Tief bewegt von diesen kraftvollen Erzählungen laufen wir den Höhenweg noch einige Meter weiter. Claudia zeigt uns den Rutschstein, den sie vor einiger Zeit ganz in der Nähe der Höhle entdeckt hat. Wenn sie hierher kommt, entfernt sie regelmäßig das Moos vom Stein. Deutlich können wir die Einkerbung in dem großen Felsbrocken erkennen.

Rutschsteine wurden in früheren Zeiten von Frauen aufgesucht, die schwanger werden wollten. Diese rutschten über die Ritze im Stein, um den gewünschten Kindersegen zu erzielen.

Weiter oben im Wald liegen auch viele Steine herum, so als ob sie absichtlich herabgestürzt wurden, vielleicht, um alte Plätze zu zerstören.

Claudia fährt mit dem Auto nach Höhenfeld. Daniela und ich laufen die verwunschene Steige weiter nach oben und geniessen unsere kleine Wanderung. Der Weg wird auf der einen Seite von der mit Efeu überwachsenen Steinmauer gesäumt, auf der anderen Seite geht es steil bergab und wir können ein Flüsslein gurgeln hören. Auf halber Strecke sehen wir ein Schild mit dem Gewannnamen „Heiligenholz“ an einer lieblichen Lichtung und direkt gegenüber, auf der anderen Seite des Weges ein Schild mit der Aufschrift „Böses Reuthal“.

In Höhenfeld erwartet uns Claudia unter einer alten Eiche. In der Nähe am Wegesrand steht ein christianisierter Stein mit rautenförmiger Öffnung. Diesem wird heilkräftige Wirkung speziell für die Hände nachgesagt. Wir schlüpfen vergnügt mit unsere Hände durch die Raute. Unter der wunderschönen Eiche erzählt uns Claudia Sagen von Wasserfrauen am See auf dem Knollenberg und der Melusine mit ihrem Liebhaber, einem Grafen.

Der in den Sagen beschriebene See wurde trockengelegt und ist heute kaum mehr als ein kleiner Tümpel. Die Quellen und unterirdischen Zuflüsse gurgeln und gluckern aber auch heute noch. Das Schilf wächst hoch und nur auf Jägerhochsitzen können wir einen Blick auf den See erhaschen. Daniela wagt sich durch den rutschigen und matschig moorigen Untergrund bis an den Rand des Gewässers und macht ein paar verwunschene Fotos.

Nach unserem Rundgang um den See bekamen wir langsam Hunger. Claudia fährt mit uns nach Wertheim, zeigt uns kurz den Ort und vor allem essen wir dort sehr lecker. Nach dieser erholsamen Pause fahren wir nach Reicholzheim zu einer Steinmauer, in der 14 Kreuze eingelassen sind, die von verschiedenen Stellen der Umgebung zusammengetragen wurden.

Von dort ist es nicht weit zur Dreifaltigkeitskapelle. Sie steht auf einer Anhöhe, die ganz eindeutig ein alter Kultort ist. Claudia führt uns ein paar Meter weiter zu einem größeren rötlichen Felsen. Darunter liegen weitere kleinere Steinblöcke. Auch der Hang darunter ist wie in Niklashausen terrassenförmig befestigt. Für Claudia befindet sich hier ein Feenschloss. Auf dem Berg genau gegenüber ist die Burg Gamberg zu sehen, dazwischen fließt die Tauber. Natürlich fanden wir hier ein großes Kreuz mit der trauernden Maria, die den sterbenden Jesus in ihren Armen hält.

Wir steigen seitlich durch Gebüsch und eine kleine Wildhecke. Claudia zeigt uns die großen heruntergebrochenen Felsbrocken an diesem Hang. Wir bestaunen die faszinierende Formen und entdecken unter Moos versteckte Ritzungen – ein magischer Moment.

Vom Feenschloss aus liefen wir durch den Wald zum Wasserfall am „Hohen Felsen“. Leider ist der Bach fast ausgetrocknet, so dass kein Tropfen Wasser über die efeubewachsene zerklüftete Steinkante fiel. Wir wandern ein Stück bachaufwärts, um das Wasser zu suchen, finden aber nur einige Pfützen.

Zuletzt fährt Claudia mit uns zum Hexenstein in Gamburg-Lindhelle. Der Zugang im Wald ist zugewachsen. Er scheint fast absichtlich mit alten Anhängern verstellt. Claudia findet dennoch den Hexenstein. Hier feiern die Frauen wohl in den Mai. Die vielen Bäume hat es damals noch nicht gegeben, so dass der Ausblick ins Tal atemberaubend gewesen sein muss.

Auf dem Heimweg hält Claudia noch mal kurz an, damit Daniela zum Hans Pfeiffer Denkmal hochlaufen kann. Der alte Kultstein mit schöner kraftvoller Energie wird in den 30er-Jahren von den Nationalsozialisten mit einer Steinplakette als Hans-Pfeiffer-Denkmal markiert. Der Energie des Steins hat dies zum Glück nicht geschadet. Seine Oberseite ist komplett mit Moos überwachsen und bietet eine wundervolle Sitz- oder Liegefläche, die einfach über eine Treppe zu erreichen ist.

Erschöpft und gesättigt von neuen Eindrücken endet für uns dieser Tag. Vielen Dank an Claudia Lodders für diese wunderschöne Führung.

Doreen Doristochter