Region 10
Neckarland, Schwäbische Alb, Schwarzwald


Der Heiligenberg in Heidelberg
Ein heiliger Berg in der Stadt der Heiden
Daniela Parr


Im Kultplatzbuch von Gisela Graichen lese ich zum ersten Mal vom Heiligenberg in Heidelberg. Da ich in meiner Jugend und auf meinen Radtouren schon oft in Heidelberg war, kann ich mir nicht erklären, warum mir dieser Platz bisher entgangen ist. Am Neujahrstag möchte ich diese Bildungslücke schließen und mache mich mit meiner Heidelberger Freundin Monika auf den Weg.

Turnerbrunnen

Auf der Fahrt zum Heiligenberg stoppen wir auf halber Höhe am Turnerbrunnen. Hier haben sich die Einwohner von Heidelberger lange Zeit das sehr gute Brunnenwasser in Kanister abgefüllt, um es mit nach Hause zu nehmen. Nachdem sich die Anwohner der umliegenden Häuser über den regen Autoverkehr beschwert haben, wurde die Quelle dicht gemacht.

Oberhalb der ehemaligen Brunnenöffnung ist ein Gedenkstein für die im ersten und zweiten Weltkrieg gefallenen Einwohner von Handschuhsheim angebracht.

Hinter dem Turnerbrunnen beginnt der sehr schöne Wanderweg durchs Siebenmühlental. Gegenüber des Brunnens wurde ein Park angelegt, durch den das Wasser des Baches aus dem Siebenmühlental durchgeleitet wird. Leider führen der Bach und die Turnerbrunnenquelle nicht das gleiche Wasser. 


Der Heiligenberg

Da die Bäume gerade kein Laub tragen, entdecke ich am Hang in Richtung Handschuhsheim ein kleines Häuschen mit rauchendem Kamin. Es wirkt so, als ob eine immergrüne Hecke das Bauwerk vor neugierigen Blicken schützen soll. Meine Freundin erzählt, dass irgendwo am Heiligenberg ein Einsiedler lebt. Gut möglich, das wir gerade an seiner Hütte vorbeigefahren sind.


Thingstätte

Vom Parkplatz des Heiligenberg aus steigen wir einen leichten Hügel hinauf und erreichen die von den Nationalsozialisten erbaute "Thingstätte".

Auf einem Schild lesen wir:

"Im Germanisierungswahn des "Dritten Reiches" 1934/35 vom damaligen "freiwilligen Arbeitsdienst" als Stätte der Propaganda nach Plänen von H. Alker (Karlsruhe) in Anlehnung an ähnliche Einrichtungen (z.B. die heutige Waldbühne in Berlin) errichtet. Nach Eröffnung 1935 immer seltener benutzt, dient sie jetzt mit ihren 8.000 Sitzplätzen kulturellen Veranstaltungen."

Das Innere der Thingstätte ist sehr beeindruckend, besonders, wenn frau durch den unteren Eingang über die Bühne des Theater eintritt.


Klosterruine St. Michael

Ganz oben, auf dem höchsten Punkt des Heiligenberges liegt die Klosterruine St. Michael, die auf einer alten Burg und einem noch älteren Merkurheiligtum der Römer gebaut wurde.

Im vorderen Bereich des Klosters sind mit Pflasterungen die Überreste des alten römischen Merkurheiligtums gekennzeichnet.

Da der Heiligenberg schon seit der Jungsteinzeit besiedelt ist (Funde aus der Zeit der Bandkeramikerinnen), wurde er wahrscheinlich schon viel länger von der Bevölkerung als Kultplatz genutzt. Jede hinzukommende Kultur hat den Platz nach ihren Vorstellungen überbaut und umgestaltet.

Über den Bau des Klosters wird berichtet, dass sich die Architektur sehr nach den Gegebenheiten auf dem Berg richten musste. Da der Bau eines Klosters hier keinen Sinn macht (z.B. kein Trinkwasser), muss von einer Vereinahmung eines heiligen Platzes durch die Kirche ausgegangen werden. Dem heiligen Michael geweihte Kapellen wurden oft an Orten sogenannter heidnischer Kultstätten errichtet. Innerhalb der Klostermauern ist am Bewuchs deutlich erkennbar, dass es sich um einen Kraftplatz handelt.

Die Aussicht vom Klosterturm zum Neckar hinunter ist atemberaubend.


Heiligenbergturm und Stephanskloster

Kurz nach dem Bau des Kloster auf dem Gipfel wurde am Südende des Heiligenberg das Stephanskloster errichtet. Auch zu diesem Kloster gehört ein Turm, der wie beim Kloster St. Michael vollständig erhalten ist. Ein Handschuhsheimer Kreuzritter hatte für dieses ein wenig tiefer gelegenen Klosters Geld gestiftet. Wir fragen uns, welch große Bedeutung der Heiligenberg gehabt haben muss, dass er gleich mit zwei Klöstern "gebannt" wird.

Es ist daher um so erstaunlicher, dass die beiden Klöster im Jahre 1589 für die Bevölkerung als Steinbruch freigeben wurden. Die Menschen haben große Teile der Mauern abgetragen und zur Errichtung ihrer Häuser in Heidelberg benutzt. Nur die Grundmauern der beiden Klöster blieben stehen. Erst 1886 wurde die Aufmerksamkeit wieder auf den Heiligenberg gerichtet und seine Geschichte erforscht.

Als ich vom Turm aus ein Foto vom gegenüberliegenden Schloss mache, fällt mir auf, dass der Blick über den Neckar zum gegenüberliegenden Schloss an der Seite v-förmig eingerahmt wird. Innerhalb des V auf der gegenüberliegenden Seite des Neckars, erhebt sich der Königsstuhl, der zweite bedeutende Berg in Heidelberg. Eingebettet am Fuße des Königsstuhls liegt das Heidelberger Schloss.


Heidenloch

Bei einer Untersuchung im Jahre 1936 wurde festgestellt, dass das Heidenloch 56 Meter tief ist. Damit reicht es bis zum Grundwasser hinunter. Bei seiner Ausgrabung war es zu mehr als der Hälfte mit Funden aus Metall und Keramik aufgefüllt. Die Theorie, dass es sich um die Brunnenanlage des Heiligenbergs gehandelt haben könnte, musste daher fallengelassen werden. Vielmehr handelt es sich hier um ein klassiches Opferloch, in das in Tongefäßen Gaben für die damals verehrten Göttinnen hineingeworfen wurden. 

Auf einer angebrachteten Tafel steht zu lesen, dass eine "eigenartige Gestaltung des sog. Frauenbildnisses" gefunden wurde. Eine seltsame Formulierung. Wir gehen davon aus, dass es sich um ein Bildnis der damals verehrten (Wasser)-Göttin handelt.

Die Anlage wird heute mit einem Häuschen vor Verwitterung geschützt. Das Brunnenloch im Inneren ist durch ein Gitter vor dem Hinabwerfen von Gegenständen geschützt. Dadurch ist es so gut wie unmöglich, einen Blick in das Innere zu werfen.

Zum Heidenloch existieren viele Sagen und Geschichten. Unter anderem soll eine Gans hineingelassen worden sein, die dann beim Kloster Neuburg in der Nähe des Felsenmeeres wieder herausgekommen sei. Auch erzählt man sich, dass der Satan in dem Loch sitze. Der Schacht wurde schon in Zeiten des Klosterbaus als "Bauwerk der Heiden" bezeichnet. Die Anlage muss sehr alt sein. Wahrscheinlich stammt sie aus der Jungsteinzeit.


zwei keltische Ringwälle

Das gesamte Gebiet des Kultbezirks auf dem Heiligenberg wird von zwei keltischen Ringwällen umrahmt. Der äußere Ring ist drei Kilometer lang, der innere hat eine Länge von zwei Kilometern. Diese Befestigungswälle sind heute nur noch an einigen Stellen als steinübersäte Geländestufen wahrnehmbar.


Quellen

An und um den Heiligenberg entdecken wir auf der Karte mehrere Quellen, die sicher in früheren Zeiten ebenfalls in Wasserkulten verehrt wurden. Die Kombination aus Quelle und Bergheiligtum ist typisch für die Alt- und Jungsteinzeit. Bei einer Wanderung auf den Heiligenberg vom Felsenmeer her, fließen einige dieser kleinen Bächlein direkt über den Wanderweg.


Waldschenke

Zum Abschluss unserer Wanderung kehren wir in dem kleinen Gasthaus "Waldschenke" direkt neben dem Parkplatz auf dem Heiligenberg ein und genießen die badisch-schwäbische Küche (Bratwurst mit Pürree und Kraut und Mautaschen). Der Gastraum ist brechend voll. Wir teilen uns einen Tisch mit einem netten Paar mit Kindern und werden sofort in anregende Gespräche verwickelt.




Aufstieg vom Felsenmeer und über die Meriankanzel

Bei meinem zweiten Besuch steige ich vom Felsenmeer aus auf den Heiligenberg. Das Felsenmeer befindet sich neckarabwärts direkt bei der Firma SAS und ist mit der Buslinie 34 vom Hauptbahnhof gut erreichbar (Station "Haarlass").

Der Karte entnehme ich, dass sich ganz in der Nähe oberhalb von Ziegelhausen das Heidenköpfel erhebt. Ein weiterer Platz, der das Wort "Heiden" im Namen trägt. Das Kloster Neuburg wurde direkt am Fuße dieses Hügels erbaut. Ich schließe daraus, dass sich das Kultgebiet des Heiligenbergs bis hierher und wahrscheinlich noch weiter den Neckar entlang erstreckt.

Am Fuße des Felsenmeers zweigt hinter dem Stahlzaun ein kleiner Weg ab, der sich steil nach oben windet. Die Aussicht beim Aufstieg ist grandios. Frau muss für diesen Weg allerdings unbedingt schwindelfrei sein.

         

Auf halber Höhe versuche ich, links über die Felsen hochzusteigen, da ich dort den Weg vermute. Dieses Stück stellt sich allerdings als sehr steil heraus und ist nicht zu empfehlen. Der kaum erkennbare offizielle Pfad führt rechts entlang und mündet oben auf einen schmalen Weg.

Oben angekommen folge ich dem verwunschenen Höhenweg neckarabwärts. Er wird von knorrigen, mit Moos bedeckten Bäumen gesäumt. Ich bin erstaunt, wie wild sich die Natur so nahe bei der Stadt ausbreitet. Unten im Tal sehe ich den Neckar mit seinen Schiffen und höre entfernt den Lärm der Autos und der Stadt.

Um die nächste Ecke herum stoße ich auf den Wilckensteinfels. Es handelt sich um einen gespaltenen Felsen mit einem Schlitz. Dies ist aber nur von der Seite zu sehen. An der Vorderseite ist der Name in den Stein gemeißelt und in weiß nachgezeichnet.

             

Immer wieder queren kleine Bächlein den Wanderweg. Am Heiligenberg gibt es viele Quellen, die gar nicht alle in der Karte verzeichnet sind. Hinter jeder Biegung tut sich etwas Neues auf. Mal stehen die bemoosten Bäume windschief am Hang, mal taucht ein weiterer Fels auf. Es geht leicht bergauf und dann wieder bergab.

Eine Kuppe ist schon mit sanftem Grün bedeckt, obwohl es erst Mitte Februar ist. Der Winter war sehr mild in diesem Jahr. Trotzdem überrascht es mich, dass die Natur schon erwacht, da es heute zum ersten Mal etwas wärmer ist.

             

Ich muss ein kurzes Stück auf dem breiten Hauptweg laufen. Hier begegnet mir ein älterer Mann, der sich zum Rauchen gemütlich auf einer Bank niederlässt. Sonst treffe ich niemanden auf meiner mehrstündigen Wanderung.

Ein paar Meter weiter biege ich auf einen schmaleren Pfad ab. Dieser führt genau in die entgegengesetzte Richtung zum Heiligenberg hinüber. Weiter geht es mit  interessanten Baumgruppen und Felsformationen. Schließlich komme ich zu einer sonnenbeschienenen Wiese mit einem wundervollen Blick auf den Neckar. Genau der richtige Ort um die Ruhe und Stille zu genießen.

Der kleine Pfad führt zum Philosophenweg. Ich versuche, mir vorzustellen, wie hier unsere Dichter und Denker um die Jahrhundertwende entlang schlenderten, aber es will sich kein richtiges Bild einstellen. Stattdessen sehe ich junge moderne Frauen beim Joggen.

Ein paar Meter weiter weist ein Schild auf die Rebanlage "Heidelberger Sonnenseite" hin. In diesen Weinhängen haben zirka 4.000 Rebstöcke Platz, was den Wein zu etwas Besonderem macht. Der weitere Weg führt mich an der Schwedenschanze, an der Freischarenschanze und an der Odenwälder Hütte vorbei. Immer wieder fällt mir der Ilex auf, der hier und da an ausgewählten Plätzen auf dem Weg zum Heiligenberg wächst.

Nun ist es nicht mehr weit zu dem kleinen steilen Weg, der über die Meriankanzel zum Gipfel führt. Die Meriankanzel ist eine kanzelförmige Ansammlung von Steinen, die am Berghang aufgetürmt ist. An dieser Stelle hat im Jahre 1620 der Architekt Matthäus Merian Kupferstiche des Heidelberger Stadtbildes angefertigt, die heute noch als Informationsquelle über den historischen Zustand der Stadt dienen.

Auf dem Rückweg komme ich an einem Turm vorbei. Es handelt sich um die sogenannten Bismarcksäule. Im Inneren führt eine Treppe nach oben. Von der "Säule" aus hat frau einen guten Ausblick über Heidelberg. Weiter unten am Berg liegt der Philosophengarten, der sehr schön angelegt ist. Dort kann ich schon den ersten Frühlingsduft der Blüten an den umliegenden Büsche wahrnehmen.

Am Philosophenweg erscheinen die ersten Villen und Häuser und bald darauf komme ich erschöpft und fröhlich im Stadtteil Neuenheim an.


Aufstieg über den Schlangenweg und Philosophenweg

Ein weiterer Weg vom Neckar aus zum Heiligenberg führt über den Schlangenweg, der sich vom Neckar her in vielen Windungen den Berg hinauf schlängelt. Besonders im Winter ist er von unten aus gut zu sehen. Nach dem steilen Aufstieg geht es auf dem Philosophenweg weiter. Der Ausblick ins Neckartal ist traumhaft. Ab hier empfiehlt sich der direkte Weg zum Gipfel über den schmalen Pfad an der Meriankanzel vorbei.

Der Philosophenweg ist mit einem weniger steilen Anstieg auch von Heidelberg-Neuenheim aus erreichbar.



Niedernburg

Zur anderen Seite in Richtung Handschuhsheim führt ein zick-zack-förmig angelegter Weg den Berg hinunter. Kurz vor der Endhaltestelle von Handschuhsheim liegt rechterhand die sehr sehenswerte Ruine der Niedernburg, die ebenfalls zum Kultgebiet des Heiligenberges gehört.


Bergstraße

Vom Heiligenberg aus erstreckt sich in nördlicher Richtung ein langezogener Bergrücken über Weinheim und Bensheim bis nach Darmstadt. Der Heiligenberg ist der erste Berg dieser Bergkette, an deren Fuße die bekannte Bergstraße verläuft. Sie folgt den sanft geschwungenen Hügeln über weite Strecken. Verschiedene Wanderweg auf dem Kamm dieser Berge sind vom Heiligenberg bzw. vom Turnerbrunnen ausgeschildert.

Daniela Parr