Region 10
Neckarland, Schwäbische Alb, Schwarzwald

Wutachtal

Eine geführte Winterwanderung
von Claudia Schäffer

Am Morgen des 28. Januars des Jahres 13 JdF waren wir sieben Frauen mit Sabine Amann in Stühlingen  verabredet, zur Führung durch das Wutachtal. Da ihr Godeweg just in der  aktuellen Matriaval erschienen war, konnten wir uns gut auf den Ausflug einstimmen. Doch an diesem Morgen hatte sich ein dichtes Nebelmeer im Wutachtal breit gemacht . Sabine war der Verzweiflung nahe, denn wie sollte sie uns ihre Landschaftsmythologischen Erkenntnisse zeigen, wenn der Blick nur wenige Meter weit vordringen kann? Ihr dickes Skript mit vielen Fotos und ihre gute Beschreibung führte uns dann aber doch sehr anschaulich die Landschaft hinterm Nebel  vor Augen.  Ein hochgelegenes Plateau als  Stuhl der Göttin Ana und ein Drache im See unterm Schloß, läßt sich im Nebel sogar klarer erkennen, als wenn der Blick durch Gewerbebauten oder von der hübschen Altstadt abgelenkt wird. Gut zu sehen war  der nahe Talsumpf, in dem ein Merowinger und Bronzezeitliches Gräberfeld von der langen Besiedlungsgeschichte des Ortes zeugten. Die Beschreibung eines Taleinschnitts im Osten, indem zur Frühlings-Gleiche die Sonne aufgeht, erschien hingegen im wahrsten Sinne als graue Theorie.

Oben in der fastnachtlich geschmückten aber menschenleeren Altstadt (Stadtrecht seit 1262) führte sie uns zu einem romantischen Brunnen und hinter der „Hölle“ zur Feuerwehr, die nun da steht, wo einst der Seegarten war. Das viele Wasser, das aus dem Berghang drückt, machte das Hochplateau einst fruchtbar und speiste neben dem Drachen im Berg, auch Mensch und Vieh. Mit viel Aufwand wurde diese Gabe der Göttin wegkanalisiert und das einstige Gartenland komplett überbaut. Ich könnte mir vorstellen, dass die eigentliche Kult-Quelle heute aus dem alten Brunnen läuft, der direkt an der Sebastianskapelle klebt, zu der uns Sabine im Anschluss führte. Sie zeigte uns in der altkatholischen Kirche eine schöne Statue der Anna, die ihrer Tochter Maria aus dem Weisheitsbuch lehrt.

Von Anas Stuhl ging die Fahrt weiter nach Eberfingen. Dort gibt’s nicht nur den Eber im Namen, sondern auch das Ruckwieble mit Gänsefüßen in der Legende. Es soll einen Schatz im Wald geben, der nur um Mitternacht zu finden sei. Wiederum befinden wir uns auf einem (diesmal sehr kleinen) Hochplateau im Westen über dem  Wutachtal, mit gegenüberliegenden Taleinschnitt . Es wird dominiert von einer Kapelle. Früher soll hier das Fastnachtsfeuer gemacht worden sein. Ein passender Ort dafür, denn ganz nah ist der mythenumwobene  Ruck, der dem im ganzen Wutachtal auftauchenden „Wieble“ seinen Namen gab. Sabine betont immer wieder die Ausrichtung der Kultplätze auf Taleinschnitte gegenüber im Osten.

Wir machen uns auf durch den Schnee zu zwei mysteriösen Hügeln aus (gemauerten?) Bruchsteinen, die Sabine in einiger Entfernung im Wald entdeckt hatte. Früher lagen sie frei, doch Bäume und Humus verbergen uns ihr Geheimnis. Einst gab es wohl eine Sichtachse zu der Kapelle auf dem Sporn.

Die Nächste Station talabwärts ist die Marienkapelle von Eggingen, ein Dorf mit Bärenwappen. Die ursprüngliche Kapelle war der Apollonia geweiht. Daraus schließt Sabine die Verbindung eines römischen Apollokultes (passend zum Licht-Gott lichtet sich der Nebel etwas) mit dessen Zwillings- Schwester Artemis, die in Verbindung steht mit Bärenkulten (Anm.: röm. Diana = kelt. Bärengöttin Artio).  Viele Mythen ranken sich um die Kapelle. Bspw. von drei weißen Tauben, die über die Einführung des Luthertums trauerten. Ich fürchte, sie hatten noch viel mehr Grund zur Trauer, ist doch auch von Hexenverbrennungen die Rede. Als das alte Kirchlein abgerissen wurde, brach wie geweissagt der erste Weltkrieg aus. Auch ist auf dem nahegelegenen Lindenacker das Dolmengrab verschwunden, auf dem einst die Ruckjungfrau sang. Und  am ersten Mai tanzt  niemand mehr um die Kapelle. Wir verlassen nach magerem Imbiss mit matschigen Stiefeln den traurigen Ort.

Die Fahrt geht weiter zum Menhir von Degernau, den ein Laienarchäologe nach langer Suche in dem Gewann „Langenstein“ fand. Beeindruckend erhebt er sich heute auf dem höchsten Punkt der Höhe. Uns hat endlich der Nebel verlassen, so dass wir den weiten Blick genießen können. Eine Votivgabe zu seinen Füssen zeigt, dass er wieder Verehrung erfährt. Nicht weit entfernt wurde im Gewann „zum Toten Mann“ zufällig ein Dolmengrab mit Seelenloch gefunden, dessen Nachbau wir im Anschluss bewundern. Wie Losfunde zeigten, waren die Hänge einst besiedelt. Spannend ist, dass sich vom Menhir und Steingrab eine Linie bis zur alten Wallfahrtskirche von Degernau ziehen lässt. Diese liegt auf einem Felsplateau hoch überm Dorf, weil einige Raben diesen eigentlich unpraktischen Ort für angemessen hielten. Doch bedenkt frau, dass in alten Zeiten die Ebene im Tal ein ungesunder Morast war, erscheint ihre Wahl für den Kultplatz doch sehr rabenschlau.  In der Maria Himmelfahrts-Kirche steht am Seitenaltar eine schöne Rosenmadonna. Der Hauptaltar trägt ganz oben eine riesige Krone. Sabine lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die vier Frauen- Figuren darunter. Die Elisabeth hat sie der Wintersonnwende, die Verena dem Frühling, die Helena dem Sommer und die Margarethe mit einem prächtigen Drachen, dem Herbst und der Unterwelt zugeordnet.

Wir fahren über Wege, die auf fast gleicher Route  schon von den Römern und Kelten benutzt wurden,  auf den Küssaberg. Er soll mit dem System der drei Belchen verbunden sein. Schon die Römer entweihten den Berg  als Militärstandort. Von der Aussichtsplattform auf der Burgruine haben wir einen fantastischen Rundblick in den Klettgau. Nachdem wir an diesem meist nebligen Tag soviel von der Ostausrichtung der Kultplätze im Wutachtal hörten, werden wir jetzt wunderbar von der sinkenden Sonne im Westen belohnt.

Letztes Ziel dieses schwindenden Tages ist Tiengen. Nachdem uns Sabine auf die Lage der Stadt hinter zwei Hügeln aufmerksam machte, geht‘s zum größten Menhir im Süddeutschen Raum.  Widrige Umstände verwehren uns aber leider den Zugang zu dem Sportplatz, auf dem diese wunderbare Steinahnin eingeklemmt zwischen Toren und Fangnetzen  verlassen steht. Es stört mich nicht, dass es inzwischen fast dunkel ist, denn ich kenne den Anblick von oben. Der Fußballplatz versinkt in der Finsternis und statt seiner erscheint vorm inneren Auge der über viele Jahrhunderte so bedeutende Versammlungsplatz an der Furt über die Wutach. Wie gerne würde ich mich an den Schoß der Steinahnin schmiegen, hier, kurz bevor die Wutach sich mit dem Rhein verbindet.

Den langen kalten Tag lassen wir wutachaufwärt kulinarisch exquisit  im „Wilden Mann“ ausklingen. Als „Nachtisch“ verwöhnt uns Sabine nochmal mit einem schönen lokalen Mythos über eine Nixe im Berg. Es war ein Sagen-hafter Tag! Jetzt tanzt das Ruckwieble wieder durchs Wutachtal.

Claudia Schäfer