Region 9
Magdeburger Börde,  Lausitz und Spreewald, Leipziger Bucht, Sächsisches Hügelland, Erzgebirge

Himmelswege
Goseck - Steigra - Langeneichstätt - Dölau
Ein Reisebericht von Friederike Bleul-Neubert

Frühjahr 2009, die ersten wärmenden Strahlen der Sonne verzauberten das Saale-Unstrut-Land. Karin, meine Alma-Mater-Schwester besuchte mich in meinem Naumburger Haus und wir waren hocherfreut, uns nach dem Ende des intensiven dreijährigen Studiengangs wieder zu sehen, den Kontakt zu pflegen und – diesmal vor allem – die Gegend um Naumburg und Halle zu erkunden. Wir wollten uns gegenseitig die Stellen zu zeigen, an denen in der Stein- und Bronzezeit Menschen ansässig waren, von denen wir vermuteten, dass sie in einer matriarchalen Gesellschaftsform lebten.

Der erste Nachmittag war dem Ankommen und der schönen Landschaft gewidmet. Und bereits in diesen Momenten begegnete uns „Flora“, oder auch „Kore“: wie die Fußspuren einer übers Land schreitenden Göttin erschienen im Wald und am Wegesrand Flecken von Buschwindröschen, Veilchen und Lungenkraut – der Frühling hielt Einzug. 

Einen Tag suchten wir entlang der „Himmelswege“ Stationen auf: das Informationszentrum im Schloss Goseck mit der Darstellung der Ausgrabung und Wiederherstellung des Observatoriums, das Observatorium selbst, das Rasenlabyrinth von Steigra und die Dolmengöttin von Langeneichstädt. Der andere Tag war der Megalithkultur im Gebiet Halle gewidmet: der Steinernen Jungfrau und der jungsteinzeitlichen Siedlung in der Dölauer Heide mit mehreren Dolmengräbern und Steinkreisen. 

Am letzten Tag durfte ein kleiner Gang durch Naumburg selbst nicht fehlen, schließlich gibt es mit der Uta, den anderen Stifterinnenfiguren und der Hl. Elisabeth im Dom einiger interessanter Frauen zu gedenken.


Das Sonnenobservatorium Goseck

Durch Luftbildaufnahmen war diese Anlage 1991 entdeckt worden. Ihr Alter konnte auf 4800 v.u.Z. (mittlere Jungsteinzeit) bestimmt werden. In den folgenden Jahren wurde sie sorgfältig erforscht und rekonstruiert.

Die Anlage hat drei Öffnungen, eine nach Norden, eine in südöstlicher, eine in  südwestlicher Richtung. Zur Wintersonnenwende scheint die Sonne bei Auf- und Untergang jeweils exakt durch eine der beiden südlichen Öffnungen hindurch. An zwei mittels lockerer Aufstellung der Palisaden gekennzeichnete Stellen können Sonnenauf- und –untergang während der Sommersonnenwende und des Beltanefestes beobachtet werden. Damit sei der Schluss erlaubt, dass es sich um ein Observatorium zur Bestimmung der Jahreszeiten handelte.

Schautafeln im Informationszentrum zeigen die Ausrichtung. Interessant ist auch der Vergleich mit der in der Nähe aufgefundenen „Himmelsscheibe von Nebra“ (1600v.u.Z.). Wir ließen uns viel Zeit im Informationszentrum, denn die Darstellung der Fundstücke und der Rekonstruktion sind ausführlich und interessant aufgebaut. Nachdem wir nun richtig sachkundig waren, ging es zum Observatorium selbst.

Glücklicherweise konnten wir uns einer Führung anschließen, die gerade begonnen hatte. So erfuhren wir beispielsweise, dass erst beim Aufstellen des inneren Palisadenkreises ein akustisches Phänomen entstanden war: die Stimme einer Person, die in der Mitte stand, konnte im ganzen Kreis mühelos verstanden werden. Einige Interpretationen, die von der Führerin geäußert wurden, konnten Karin und ich nicht nachvollziehen. Z.B. soll die dichte Aufstellung der Palisaden dazu gedient haben, dass sich nur ein kleiner Kreis von Eingeweihten – natürlich angeführt von einem männlichen Priester – ohne Beobachtung von außen dort aufhalten und die Rituale durchführen konnte. Das gewöhnliche Volk sollte draußen bleiben und ehrfürchtig und unwissend den geheimnisvollen Stimmen folgen. Im Kreis ist genug Platz für mehrere hundert Personen, wozu also sollten die Menschen außen vor bleiben? Die dichte Aufstellung könnte auch einen Windschutz darstellen. Schließlich liegt die Anlage auf einer Anhöhe, die zur damaligen Zeit nicht bewaldet und demnach Wind und Wetter ausgesetzt war. Auch für das Rätsel, weshalb das Observatorium ausgerechnet an dieser Stelle errichtet worden war, habe ich eine eigene Erklärung. Es wird angenommen, dass der Schnee zu Frühjahrsbeginn aufgrund der Höhe und auf aufgrund des Schottergesteins zuerst geschmolzen ist, so dass hier die erste freie Stelle der Umgebung zu finden war. Ich habe genau in der Mitte einen Kraftort entdeckt. Ich habe die Ströme sehr stark durch mich fließen gespürt. Karin hat es allerdings nicht so stark empfunden.

Auf meine Frage nach einer solchen Stelle antwortete die Führerin sichtlich genervt, dass Leute mit einer Wünschelrute irgendwo am Rande etwas aufgespürt hätten. Auch die Feiern zur Sommer- und Wintersonnenwende, die jetzt regelmäßig vor Ort veranstaltet werden, wurden von ihr mit Skepsis gesehen.

Unsere nächste Station sollte das Burgmuseum in Querfurt sein. Leider waren die Öffnungszeiten nicht richtig angegeben, so dass wir zwar die Anlage selbst und das nette Städtchen sehen konnten, aber nichts von den dort zu besichtigenden „Venusstatuetten von Nebra“. Ein kleiner versteckter Göttinnengruß winkte uns vom Tympanon des Kircheinganges aus zu: das Erdkreuz, flankiert von zwei 7-blättrigen Blüten.


Das Rasenlabyrinth von Steigra

Direkt links neben der Straße am nördlichen Ortseingang liegt in der nähe eines Hügelgrabs (vermutlich aus der Bronzezeit) eines der wenigen und ältesten erhaltenen Rasenlabyrinthe Deutschlands.

Auf dem Hinweisschild stehen die Begriffe „Schwedenring“ und „Trojaburg“. Trojaburgen kommen normalerweise in Schweden vor. Sie sind Steinsetzungen in Labyrinthform. Eine gängige Erklärung für ihr hiesiges Vorkommen ist, dass schwedische Soldaten das Labyrinth während des 30jährigen Krieges errichtet haben. Es ist jedoch bereits seit dem Mittelalter bekannt. Andere Namen sind „Schlangengang“ oder „Wunderberg“. Dies sind Hinweise auf eine viel ältere Entstehung mit einem entsprechend alten rituellen Hintergrund.

Als wir die andere Tafel mit den Aufzählungen von Rittern und Jungfrauen entdeckten, waren wir wie elektrisiert: hier finden noch die alten Spiele statt, die vielleicht schon in grauer Vorzeit von den Menschen zur Frühlings-Tag-und-Nachtgleiche als Frühlingsritual abgehalten wurden. Und wieder hatten wir Glück! Wir fanden am Wegrand ein Paar, das im Garten werkelte und sich auf ein Gespräch über den Zaun mit uns einließ.

Der Mann war in seiner Jugend tatsächlich selbst einmal Ritter gewesen. Er musste eine Jungfrau, die als „gefangene Sonne“ in der Mitte des Labyrinths saß, gegen einen Drachen verteidigen – „von der Herrschaft des Winters befreien“, indem er das Labyrinth abschritt. Diese Spiele werden immer am Tag des Hl. Georg bzw. am letzten Aprilwochenende durchgeführt, sogar während der DDR-Zeit. Inschrift: „Aus den Fesseln der harten Wintern habe ich, der Ritter, dich befreit, worauf uns und unseren Kindern fortan der Sonnensegen scheint. Du, holde Jungfrau, gibst mir Kraft, Wärme und Fruchtbarkeit, die bösen finsteren Mächte der Nacht meiden unsere Zweisamkeit.“ Darunter sind auf Messingschildern die Namen der Ritter und Jungfrauen seit 1995 eingraviert.

Wir ließen es allerdings nicht allein bei dieser Besichtigung bewenden. Ein solcher Ort forderte uns zur Begehung heraus. Wir schritten, jede für sich und in sich gekehrt, das Labyrinth ab. Karin stimmte dabei das Lied „Meine Füße fest auf Mutter Erde“ an, das wir an der Alma Mater kennen gelernt hatten. Lange hielten wir uns dort auf, begrüßten eine alte Linde, die am Rand merkwürdig gewachsen ist – wie zwei Menschen, die sich in liebevoller Umarmung gegenseitig stützen – und das Hügelgrab aus der Bronzezeit.


Die Dolmengöttin von Langeneichstätt

Langsam neigte sich der Tag und wir machten uns auf zur letzten Station, zur Dolmengöttin in Langeneichstätt, nicht weit von Steigra entfernt. Der Menhir wurde 1987 in einem Dolmengrab gefunden. Dass der Stein als weiblich definiert wurde, hängt mit parallelen Funden in Europa zusammen, die als stilisierte Frauenbildnisse gelten. Ihr Alter wird auf 5000 Jahre geschätzt.

Wir genossen den rosigen Sonnenuntergang. Karin hatte einige Gänseblümchen gepflückt und legte sie der Dolmengöttin zu Füßen. Auf dem Kopf des Menhirs hatten wir eine kleine Vertiefung entdeckt, die uns zu einem Ritual inspirierte: wir gossen den Rest Wasser aus unserer Proviantflasche hinein und sprachen das Gebet „Ihr nennt mich mit 1000 Namen …“. So ging ein ereignisreicher, erfüllter Tag zu Ende.

Zu den Stationen der „Himmelswege“ gehören außerdem die „Arche Nebra“ in Wangen bei Nebra, ein Erlebniscenter mit Informationen über die Geschichte der Himmelsbeobachtung und das Planetarium, der Fundort der Himmelsscheibe auf dem Mittelberg nahebei und das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle mit den originalen Fundstücken. Wir beschlossen, uns den Besuch dieser weiteren Orte für eine spätere Zeit aufzuheben.



Die steinerne Jungfrau

An diesem Tag übernahm Karin die Führung. Sie war in Halle aufgewachsen und hatte während der Schulzeit bereits alle diese Stätten aufgesucht, allerdings ohne dass sie damals auf den wirklichen Gehalt dieser Orte aufmerksam gemacht worden war.

Die steinerne Jungfrau steht nordwestlich von Halle in Dölau und ist ein Menhir aus Braunkohlenquarzit mit der beeindruckenden Höhe von 5,50m – früher sogar 7,50m. Sie ist der zweitgrößte Menhir Mitteleuropas. Auf alten Karten ist noch die Bezeichnung „Drei steinerne Jungfrauen“ eingetragen. Das lässt vermuten, dass bis ins 19. Jhdt noch drei Steine vorhanden gewesen sind.

Der Sage nach soll/en ein Mädchen/eine Riesin/ bzw. eine Mutter mit zwei Kindern/drei Frauen bei einem Gewitter Brote auf den Boden geworfen haben, um trockenen Fußes über Pfützen zu gelangen. Für diesen Frevel wurde/n sie versteinert. In christlichen Zeiten musste jedes Jahr eine Predigt an dieser Stelle gehalten werden. Wir hatten gleich den Eindruck, dass der Menhir eine schützende Frauengestalt ist. Durch ihre gewölbte Form entsteht ein kleiner Innenraum, in den sich jede von uns eine Weile schmiegte und die Kraft in sich aufnahm, die sie spürte.

An einer Stelle entdeckten wir eingravierte Runenzeichen. Waren es rechtsradikale Schmierereien oder neu-heidnische Gravuren? In meinem Runenbuch fand ich die Bedeutungen von „Tyr“ (Entschlusskraft und männliche Sexualität) für den Pfeil, „Odal“ (Vaterland, Besitz, gesicherter Wohlstand) für die Raute mit den verlängerten Schenkeln und „As“ (Odin – kontrollierte, kreative und göttliche Kraft, Weisheit). Also waren sie doch sehr männlich konnotiert. Wir sahen aber auch ein Spinnennetz.


Die Steingräber in der Dölauer Heide

Von der steinernen Jungfrau aus ist es nicht weit zum Landschaftsschutzgebiet Dölauer Heide. Hier siedelten von der mittleren Jungsteinzeit (ca. 2.800 – 2.200 v.u.Z.) bis zur späten Bronzezeit (c.a. 1.600 v.u.Z.) Menschen, die dieses Gebiet mit großen Wallgräben und darauf gebauten Palisadenanlagen versahen. Sie bestatteten ihre Toten in Steinkistengräbern, von denen 36 rund um dieses Gebiet herum gefunden wurden. Wir wanderten den ganzen Nachmittag in diesem Gebiet herum. Es war nicht leicht, die Gräber zu finden. Zwar gibt es eine Karte, aber die Ausschilderungen waren nicht immer eindeutig.

Schließlich fanden wir einige der Gräber. Das interessanteste unter ihnen war die Anlage, die unter Nr. 27 aufgeführt ist, und zwar aus verschiedenen Gründen: zum einen war es die einzige Ansammlung von mehreren Gräbern (ein großes und zwei kleine). Die kleineren Gräber sind in einen Steinkreis integriert. Karin machte darüber hinaus eine wirklich spannende Entdeckung: sie fuhr mit der Hand über einen der Steine und merkte, dass sich unter dem Moos offensichtlich die Ritzung eines Ideogramms befindet, wie es uns von Siegrun Laurent im Pfälzer Wald und an einigen anderen Stellen der Welt gezeigt worden war: ein Kreis, von dem aus ein Strich nach unten geht, davon rechts und links zwei gebogene Striche wie Arme. Nachdem sie die Linien etwas frei gekratzt hatte, zeigte sich noch ein Akka-Kreuz im Kreis.

Natürlich untersuchten wir gleich alle anderen Steine und fanden noch einen weiteren mit einem Ideogramm in Form der Lebensbaum-Rune. Dass wir eine solche Entdeckung machen durften! Wir konnten uns lange nicht von dieser Stelle trennen, aber irgendwann musste es sein. Zum Schluss bestiegen wir noch den Aussichtsturm Kolkturmberg, von dem aus wir eine fantastische Aussicht über das ganze Land hatten.

Friederike Bleul-Neubert





Literatur:
Barret, David V./Benjamin, Anna: Runen und was sie bedeuten, Verlagshaus Würzburg 2007
Erdmann, Ulrich: Himmelswege um Querfurt. Reise- und Radwanderführer Band 1, Mittel-deutscher Verlag Halle 2007
Erdmann, Ulrich: Himmelswege um Querfurt. Reise- und Radwanderführer Band 2, Mittel-deutscher Verlag Halle 2008
Die Dölauer Heide – Waldidylle in Großstadtnähe. Geologie und Bergbau, Magistrat der Stadt Halle
Dezernat Umwelt- und Naturschutz 1974 mit Aufsätzen von Dieter Kaufmann und Günter Krumbiegel
Schulz-Thulin, Britta: Großsteingräber und Menhire. Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen
15 spannende Touren zu den schönsten Megalithbauten mit Umgebungskarten, Mitteldeutscher Verlag GmbH Halle 2007

www.himmelswege.de

Besucherzentrum Nebra
An der Steinklöbe 16
06642 Nebra (Wangen)