Region 7
Hessisches Bergland, Rhön, Odenwald


Matronis
Auf den Spuren der alten Göttin
von Ima Krüger


HOLLERBUSCH-FRAUEN AUF DEN SPUREN DER ALTEN GÖTTINNEN

Wir knüpfen einen zerrissenen Faden neu. Im August 2002 machten wir mit einer viel besprochenen Aufführung auf den Matronen-Stein aufmerksam, der in der Wand der Bergkirche in Mümling-Grumbach eingemauert ist. Dieser Stein ist ein eindrucksvolles Zeugnis vorchristlicher Göttinnen-Verehrung. Er zeigt die Drei-Gestalt einer keltischen Göttin: als Jungfrau, die im Frühling das neue Leben auf die Erde zurückbringt; als reife, gebärfähige Frau, die das Blühen und Gedeihen und die reiche Ernte symbolisiert und als weise Alte, die alles Wachstum auf der Erde anhält und unter die Erde bringt, damit es Kräfte sammeln kann, um im nächsten Jahr neu zu erstehen; sie geleitet die Seelen der Toten hilfreich in die Andere Welt.

Die Kelten machten sich noch kein Bild von ihren Göttinnen und Göttern, sondern verehrten sie in Baumheiligtümern, die auf Hügeln standen und in deren Nähe es Wasser gab. Bildliche Darstellungen der keltischen dreifachen Göttin finden wir erst bei den Römern, die ja oft die Glaubensvorstellungen und Rituale der von ihnen besiegten Völker übernahmen und sie in ihren reich bevölkerten Götterhimmel integrierten.

Vor allem die am Niederrhein, in der Eifel und entlang des Limes stationierten Römer pflegten den Kult um die drei heiligen Frauen. Auch bei uns im Odenwald gibt es zahlreiche Spuren der Besiedlung durch Kelten und Römer. Der Matronen-Kult war hier nicht so ausgeprägt, aber es gibt einige wenige Funde, und einer davon ist der Mümling-Grumbacher Matronenstein. Dieser Stein gehört zur Geschichte der Menschen in unserer Region, und besonders gehört er zur Odenwälder Frauengeschichte.

Was uns an den Matronen fasziniert, ist das Weltbild, das dahinter steht. Die Vorstellung vom dreifachen Aspekt einer großen Schöpfungsgöttin, die Leben schafft, es wachsen läßt und wieder nimmt, ist ja viel, viel älter als die Kelten und die Römer. Schon vor Urzeiten hatten die Menschen eine Vorstellung davon, daß das Leben sich in einem stetigen Kreislauf von Werden und Vergehen bewegt. Dem steht unsere heutige Kultur, in der sich alles möglichst problemlos und schnurgerade immer höher, immer besser, immer weiter entwickeln muß, völlig entgegen. Wie beruhigend, zu wissen, daß das Leben Phasen überschäumenden Wachstums, aber auch unendlich langsamer Entwicklung für uns bereit hält; daß wir Altes, starr Gewordenes loslassen müssen, (dürfen) damit Neues entstehen kann.

Das Rad des Lebens dreht sich weiter und aus Jahrhunderten der Vergessenheit tauchen die drei Matronen wieder auf. Wir ehren sie mit dieser Ausstellung.

Neun Künstlerinnen aus unserer Zeit erinnern uns mit ihren Bildern und Skulpturen daran, was die Matronen uns zu sagen haben und schließen so den Kreis.

DREI MATRONEN IN DER WAND

Wir treten ein in die alte Bergkirche von Mümling-Grumbach. Ein geheimnisvoller Stein an der Wand - drei Frauen; drei Matronen; drei Göttinnen? Die drei Damen, die, in Stein geschlagen, die Jahrhunderte überdauert haben, sitzen würdevoll in einer Nische, die linke und die rechte tragen große Hauben auf dem Kopf, die Frau in der Mitte hat, soweit man das noch erkennen kann, das Haar gelöst. Im Schoß halten die drei Frauen Schalen mit runden Früchten. Vielleicht sind es Äpfel, ein uraltes Symbol für Fruchtbarkeit.

Als der Stein um 1840 bei der Restaurierung der Friedhofsmauer gefunden wurde, hielt man die drei Gestalten zuerst einmal für männliche Heilige, wegen der großen Hauben, die man als Heiligenscheine ansah. Aber bald erkannte man, daß das Relief aus keltisch-römischer Zeit stammte.

Ist nun der Fundort auch der ursprüngliche Standort ? Möglich wäre es. Die Römer siedelten die von ihnen besiegten keltischen Britonen entlang des Odenwald-Limes an. Und die keltischen Krieger, die nun römische Legionäre waren, brachten nicht nur ihre Familien mit in die neue Heimat, sondern auch ihre Götter und Göttinnen. Sie verehrten sie in Baumheiligtümern auf Hügelkuppen, in deren Nähe es einen Fluß oder eine Quelle gab. Der Kirchenhügel von Mümling-Grumbach könnte ein solcher Ort gewesen sein, denn als die christliche Religion sich immer mehr ausbreitete, baute man ganz bewußt Kirchen auf diesen heiligen Kultplätzen, um die Menschen schneller mit der neuen Religion vertraut zu machen.

Vielleicht war es aber auch ganz anders: Die Römer waren sehr darauf bedacht, die von ihnen eroberten Gebiete zu „romanisieren", um sie für alle Zeit ihrem Reich zu erhalten. Die Legionäre sollten sich mit der einheimischen Bevölkerung vermischen und nach ihrer 25-jährigen Dienstzeit möglichst in den besetzten Ländern ansiedeln. Besonders verdienstvolle Offiziere bekamen großzügige Ländereien geschenkt.

Eine davon zum Beispiel ist die heute so genannte Haselburg, auf deren Gelände ein römischer Gutshof und eine Ziegelei standen. Vielleicht hatte der Legionär in der Eifel gedient und wollte auf seine bewährten Hausgöttinnen nicht verzichten. Also bekam wohl ein Odenwälder Steinmetz den Auftrag für das Matronen-Relief nach ganz bestimmten Vorgaben: die Grumbacher Matronen sind genauso gekleidet wie ihre rheinisch-keltischen Vorbilder. Nur sind sie nicht aus dem hellen Eifel-Kalkstein, nicht von dort importiert, sondern sie bestehen aus unserem guten, alten Odenwälder Sandstein.

Und wie kommt nun ein so schwerer Stein von der Haselburg auf den Grumbacher Kirchenhügel? Vielleicht haben Diejenigen, die im Mittelalter dort eine Kirche errichten wollten, die Steine der längst verfallenen römischen Villa als Baumaterial genutzt? Oder war etwa der Hügel über Mümling-Grumbach doch der eigentliche Standplatz des Steines? Möglichkeiten, Spekulationen, Vermutungen. Wie es wirklich war, das wissen nur die Matronen selber. Da sitzen die Drei auf ihrer Bank, in sich selbst ruhend, und scheinen ein längst verlorengegangenes geheimes Wissen zu hüten. Und hat nicht die eine ein ganz leichtes, verschmitztes Lächeln im Gesicht?

Unsere Kultur ist zutiefst durchdrungen von der Überzeugung, daß der Mann - nicht die Frau - nach dem Bilde Gottes geschaffen ist. Diese Überzeugung lebt weiter - Gott als menschliche Projektion des Bildes vom Menschen, vom Mann.

Wir Christen finden es selbstverständlich, die Gestalten eines Vaters und eines Sohnes anzubeten, ohne uns Göttlichkeit jemals in Gestalt entsprechender Mutter - und Tochterfiguren vorzustellen, wie es in alten Kulturen der Fall war. Die uralte Vorstellung, nach der die weibliche Heilige Dreifaltigkeit in Gestalt von Jungfrau, Mutter und Greisin über alle Kreisläufe von Schöpfung, Geburt und Tod regiert, ist beim Kampf des Christentums gegen die Tempel, Schriften und Rituale, und gegen die Anhänger und Anhängerinnen dieser Göttinnen-Trinität ausgelöscht worden.


VON HEILIGEN DREIFALTIGKEITEN

Es sind stets drei Frauen, die auf den Matronen-Weihesteinen dargestellt sind, so daß diese symbolreiche Zahl viel über das Wesen und die Verehrung dieser Göttinnen aussagen kann. Seit ältester Zeit stellten sich Menschen die Große Göttin als eine Trinität, eine „Heilige Dreifaltigkeit" vor; sie lieferte das Vorbild für alle nachfolgenden Trinitäten, seien sie weiblich, männlich oder gemischt.

Im 7. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung wurde in anatolischen Dörfern eine Göttin in ihren drei Aspekten verehrt als eine junge Frau, eine gebärfähige Matrone und eine alte Frau. Die Mutter der griechischen Götter war eine Trinität, die aus der Jungfrau Hebe, der Mutter Hera und der Greisin Hekate bestand. Rhea, die Göttin Kretas, Mutter des Universums und Herrscherin über Himmel und Erde, Leben und Tod, erscheint als Amaltheia, die Mädchengöttin mit der zunehmenden Mondsichel als Symbol; Io, die reife Göttin verkörpert den Vollmond; und die abnehmende Mondsichel steht für Adrasteia, die Göttin der Unterwelt.

Der Dreizahl als kleinster Vielheit kommt seit ältesten Zeiten große Bedeutung zu. Die Zahl, die Anfang, Mitte und Schluß einschließt, steht für Unendlichkeit, Vollkommenheit und allumfassende Einheit. Sie begegnet uns in Recht und Volksbrauch, in Mythologie und Magie. Der Zopf, ob Haaroder Hefezopf, veranschaulicht sehr eindrucksvoll, wie aus einer Einheit drei Stränge getrennt werden und diese zu einer neuen Einheit verflochten werden.

Dreimal muß eine Anrufung erfolgen, dreimal muß ein Bann ausgesprochen werden, dreimal die Geister beschworen werden: toi, toi, toi 1 Auch in altüberliefertem Erzählgut geistert seit altersher die Drei. In der Märchenwelt sind drei Wege zu gehen, drei Prüfungen zu bestehen, dreimal - und dann nimmermehr - kehren die Toten aus der Unterwelt zurück. Drei gute Gaben legt die Fee in die Wiege.

Und Glückskindern gibt sie drei Wünsche frei. Drei Wünsche! Doch oft werden diese in den Märchen vertan und welche die richtigen Wünsche sind, das wissen nur die Göttinnen.

Auch die drei Farben weiß, rot und schwarz spielen eine bedeutende Rolle, sowohl in der Verehrung der Großen Göttin in ihren drei Aspekten, als auch in vielen Märchen. Gerade in den Volksmärchen haben sich viele Erinnerungen an die alten Göttinnen erhalten, wenn sie auch manchmal nur noch sehr schwach zu erkennen sind.

Denken Sie zum Beispiel an die hilfreichen „Drei Spinnerinnen", an „Frau Holle" oder an „Schneewittchen". Wird ein Kind geboren, das so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie Ebenholz ist, wird damit signalisiert, daß es ein besonderes, ein göttliches Kind ist.

Weiß als Farbe des Lichts und Schwarz als Farbe des Dunkels werden durch Rot kompensiert. Weiß steht für Jungfräulichkeit, ist aber auch die Farbe der Geister und Gespenster. Rot ist die Farbe des Feuers, der Liebe und Leidenschaft und des Frauenblutes. Schwarz ist die Farbe der magischen Macht und symbolisiert alles Unsichtbare. Als Sinnbild der Nacht, des Todes und der Trauer begleitet das Schwarze häufig Fruchtbarkeitsgöttinnen, Muttergöttinnen und deren Priesterinnen. Farbreste an den Matronen-Weihesteinen lassen darauf schließen, daß die Figuren bunt bemalt waren und die Farben im Laufe der Jahrhunderte verblaßt und vom Regen ausgewaschen sind. Bei Fundmaterial war zu erkennen, daß die Inschriftfläche der Matronensteine mit weißer Farbe überzogen und die Buchstaben mit roter Farbe nachgezeichnet waren. Die Göttinnen selbst könnten eventuell weiß, rot und schwarz bemalt gewesen sein.

DIE GATTUNG MATRONE VOM AUSSTERBEN BEDROHT?

Matrone - was verstehen wir heute unter dem Begriff? Zuerst denkt man doch einmal an eine wohlbeleibte ältere Frau, die schwer an der Last ihrer Lebensjahre und am Gewicht ihres Körpers trägt. Eigenmächtig ist sie, will ihre Position nicht an ihre erwachsenen Kinder abgeben, weiß alles besser, kommandiert mit lauter Stimme, tyrannisiert die Hausbewohner und wo sie auftaucht, hält jeder den Atem an und versucht, sich möglichst unsichtbar zu machen. Und doch schimmert bei dem Wort „Matrone" noch etwas von Macht und Magie der weisen Alten durch. Das lateinische Wort „matrona" meint ausschließlich eine einflußreiche, verehrungswürdige Frau, deren Lebenserfahrung und Weisheit gefragt sind. Aus unserem Wortschatz ganz und gar verschwunden ist die Bezeichnung „Matrone" für den Begriff „Beschützerin". Die Schutzmatrone wurde während einer frauenfeindlichen Sprachentwicklung zur Schutzpatronin. In dieser Wortvergewaltigung bestimmt nur das Anhängsel „-in" die Weiblichkeit.

Aber nicht nur das Wort sondern auch die Gattung Matrone ist vom Aussterben bedroht. Frauen ziehen sich heute nicht mehr aufs Altenteil zurück - weder gottergeben noch aufbegehrend - sondern genießen als Seniorinnen ein Stück Lebensfreude. Sie werden keine mürrischen Matronen, allerdings auch nur selten so weise wie die weisen Alten der Vergangenheit.

VON „BETHEIM" UND VOM BETEN

Dje Erinnerung an die drei Heiligen Frauen ist heute verschüttet und nur noch in Bruchstücken oder Splittern in Märchen und Sagen aufzuspüren, aber es dauerte sehr lange bis die christliche Kirche sie aus dem Gedächtnis, vor allem der Frauen, vertreiben konnte. Die gebräuchlichsten Namen für die drei Göttinnen waren Ambeth, Borbeth und Wilbeth. Die Menschen nannten sie deshalb „die drei Bethen".

Der Volkskundler Hans Christoph Schöll hat die „Bethen" in seinem vor fast 70 Jahren erschienenen Buch als die Verkörperung des ständig sich erneuernden Lebens beschrieben und sie deshalb die „Drei Ewigen" genannt. Das aus dem Keltischen stammende Wort bit-u hat nach Schölls Verständnis ebenso wie das altirische bitte (mit dem Genitiv beth-o) die Bedeutung immer-während, ewig; dazu gehört das keltische bivo - lebendig, ebenso das lateinische vivere - leben, und das griechische bios - Leben. Vielleicht ist also „Bethen" gar keine Abkürzung für Ambeth, Wilbeth, Borbeth, sondern die Menschen haben sich mit der Erfindung der Namen den viel, viel älteren Begriff „Bethen" vertrauter machen wollen. Für wie gefährlich man die hilfreichen und mächtigen Matronen hielt, geht aus dem Erlaß eines Kölner Bischofs aus dem frühen Mittelalter hervor, der den Frauen das „beten" verbot, denn „beten" bedeutete ursprünglich, die drei Göttinnen anzubeten und sie um Schutz und Hilfe zu bitten. Erst viel später hielten die Drei, als christliche Märtyrerinnen verkleidet, zusammen mit dem lange verpönten Begriff „beten" Einzug in die Kirchen.

DIE „DREIFRÄULEIN-SAGE" AUS DER PFALZ

Ein Bauer aus Ensheim ging früh vor Tagesanbruch an den Siedelwald, um seine Wiese zu mähen. Auf einmal hörte er ein liebliches Singen, wie die Stimmen der Vögel. Er schaute sich um und sah, wie aus dem Wald drei Jungfrauen in langen, weißen Gewändern hervortraten und auf der Wiese einen wunderseltsamen Tanz aufführten. Die eine trug einen silbernen Halbmond auf der Stirn. Plötzlich krähte der Hahn in der nahen Mühle und im Nu war alles verschwunden. Nicht allzu weit von dem Tanzplatz ist ein Felsen, der mit allerlei Frauengestalten und anderen Figuren geschmückt ist; das Volk nennt den Stein Wildfraukirch und eine verschüttete Höhle dicht dabei das Wildfrauloch. Alte Leute erzählen, daß daselbst die drei Wildfrauen gehaust haben, scheue Wesen mit langen Haaren und ohne Kleidung. Sie lebten von Wurzeln und Kräutern und stiegen oft zum Bach hinab, um zu baden und die Haare zu strählen. Sonntags versammelten sie sich mit Sonnenaufgang an der Wildfraukirch, um zu beten. Sie waren harmlos und freundlich. Manchmal spielten sie mit den ganz kleinen Kindern, die zur Erntezeit von ihren Eltern mit ins Feld genommen waren. Solche Kinder wurden reich und glücklich.

Drei weiße Frauen, eine davon mit der silbernen Mondsichel auf der Stirn, dem Zeichen der jungfräulichen Göttin Amaltheia, die „Wildfraukirch" als Kultplatz, die Höhle, die schon seit Urzeiten den Eingang zur Unterwelt symbolisiert und drei Frauen, die „beten" - wer die Symbole nicht kennt, für den ist die Sage von den drei weißen Fräulein einfach nur eine hübsche Geschichte. Zwar ist ihre Macht verharmlost und gebrochen, aber allein die Bezeichnung „Wildfrauen" oder „Wildweibchen" zeigt, daß die Drei keineswegs so „harmlos und freundlich" sind. Sie sind wild in dem Sinne, daß sie sich nicht an unsere Normen von der braven, gefügigen und angepaßten Frau halten, und das macht manchen Leuten Angst.

Für uns jedoch leuchten unsere souveränen, eigenmächtigen, todbringenden und lebenspendenden Ahninnen in diesen Geschichten auf.

Ima Krüger