Region 6
Niederrhein, Eifel, Hunsrück, Pfalz und Saarland

Der Matronentempel von Nettersheim

Geschichtliche Erklärung  (Auszug aus der Erzählung "Die Nebel von Nettersheim")


von Sophie Lange


Der Tempelbezirk Görresburg bei Nettersheim zieht Tag für Tag viele Besucher an. Kinder, die auf Klassenfahrt in Nettersheim sind, werden zu dem Heiligtum aus alter Zeit geführt. Obwohl dort nur niedrige Mauern und drei Steine mit Abbildungen zu sehen sind, kann der Platz viel erzählen. 


Entdeckung der Görresburg


Die Matronenanlage "Görresburg" bei Nettersheim

Im Jahr 1909 fanden Bauern hier große Steine mit seltsamen Figuren. Die herbeigerufenen Archäologen erkannten, dass es Weihesteine für Göttinnen waren. Diese Steine stammen aus der Zeit von etwa 200 nach Christi. Bei der Ausgrabung wurden die Grundmauern einer römischen Tempelanlage mit drei kleinen Räumen freigelegt. Eine Mauer mit einem Eingang und einem Ausgang umschloss die Anlage. Es kamen weitere Göttinnensteine, Reste von Säulen, Tonscherben, römische Münzen und vieles mehr ans Tageslicht. Man brachte die Fundstücke ins Landesmuseum nach Bonn und ließ die Anlage wieder zuwachsen. Erst 1977 legten Archäologen erneut die Fundstelle frei. Die Grundmauern wurden ein Stück hoch aufgebaut und drei Nachbildungen von Weihesteinen aufgestellt.

Wahrscheinlich war die Görresburg ursprünglich ein Götterberg und auch unsere frühen Vorfahren verehrten schon ihre Götter an diesem Kultplatz. Unsere Urahnen sahen Bäume, Quellen sowie auffallende Felsensteine und Hügel als göttliche Wesen an. Mit der Zeit nahmen diese Naturgötter menschliche Gestalt an. So verehrten die Menschen schließlich dort, wo der heilige Baum oder die heilbringende Quelle war, drei Göttinnen, die aber Teil der Natur blieben. Diese wurden um Fruchtbarkeit für das Land und um Schutz für die Familien angefleht.

Vielleicht waren auf der heutigen Görresburg einst besondere Felsensteine. Möglicherweise stand nicht weit entfernt ein großer Baum. Mit Sicherheit spendete eine nahe Quelle das Wasser für die heiligen Handlungen.


Grundriß des Tempelbezirks von Nettersheim


Um 50 vor Christus brachten die Römer mehrere Länder rund um das Mittelmeer unter ihre Herrschaft. Anschließend drangen sie in das Gebiet links des Rheins vor. Nach harten Kämpfen und gegen großen Widerstand der Einheimischen besetzten sie dieses Land. Auch die Eifel - und damit das Gebiet des heutigen Nettersheim - war nun Besatzungsgebiet der römischen Weltmacht. Ein großer Teil der Bevölkerung kam in den Kämpfen ums Leben. Die Überlebenden flüchteten in die dunklen Wälder oder fielen in die Hände der Eroberer. Ungefähr 400 Jahre lang blieben die Römer in unserem Land. Im Laufe dieser Zeit führten römische Soldaten zunehmend ein gemeinsames Leben mit der einheimischen Bevölkerung.

Die römischen Legionäre bauten viele Straßen, wobei sie streckenweise die alten Kult- und Kriegspfade nutzten. Eine Hauptstraße führte von Trier quer durch die Eifel nach Köln. Über diese Heerstraße marschierten die Soldaten hin und her, aber auch Getreide wurde von der Eifel in die Städte transportiert. Eine Nebenstraße der großen Römerstraße streifte das Gebiet der Görresburg. Hier übernahmen die Römer die alte Siedlung und richteten sich wohnlich ein. An der Urft war eine Straßenstation. Von dort aus bewachten die Benefiziarier (Wachsoldaten) die Straße und die Siedlung. Dieser Platz heißt heute Steinrütsch. Dort erinnert ein Meilenstein an die römische Zeit.

Die römischen Eroberer besetzten nicht nur das Land, sondern übernahmen auch die heiligen Naturplätze. Sie bebauten diese mit kleinen Tempeln, so wie sie es von ihrer Heimat her gewohnt waren. So geschah es wohl auch in Nettersheim. Da die drei Göttinnen schon seit Menschengedenken Land und Leute beschützt hatten, übernahmen die Römer die Verehrung dieser gütigen göttlichen Frauen. Hatten diese ein Gebet erhört oder einen Wunsch erfüllt, ließen die Soldaten zum Dank einen Stein mit einem Bild und einem Text anfertigen und stellten ihn als Weihestein im Tempel auf. Durch die Inschriften auf diesen Weihesteinen wissen wir, dass die Römer die Göttinnen Matronen nannten, was ehrwürdige, weise Frauen bedeutet. Daher nennen wir die Weihesteine auch Matronensteine. Die alten einheimischen Namen der Göttinnen stehen als Beinamen ebenfalls auf den Steinen. Dieser Beiname lautet in Nettersheim AUFANIA. Man weiß nicht genau, was dieser Name bedeutet. Vielleicht ist die Göttin Aufania in ihrer dreifachen Macht die Schützende oder Glückbringende. Der Name wird aber auch mit Fanja (Venn, Moor) in Verbindung gebracht.

Die Funde aus der Römerzeit erzählen uns manches von dem Leben der Eroberer in unserem Land. Doch wer waren die Menschen, die vor den Römern hier lebten? Es ist anzunehmen, dass es die keltischen Eburonen waren. Da jedoch nur wenig von ihnen überliefert ist, wollen wir mit Hilfe unserer Fantasie versuchen, einen Blick in diese vergangene Zeit zu werfen. So können wir vielleicht die Welt unserer Vorfahren kennen und verstehen lernen.