Region 5

Teutoburger Wald, Münsterland, Bergisches Land, Sauerland, Westerwald


Die Frauensteine – Opferplatz oder Zufluchtsstätte?
Wechselvolle Deutung der Steine im Aaper Wald
von Monika Bunte und Antje Olivier


Sie „singen" nicht wie manche Menhire in Südengland, sie wandern nicht wie die legendären Steine in der kalifornischen Wüste und sie weisen auch keine Spuren von Menschen- oder Tieropfern auf. Sie sind keine Findlinge wie der Waschstein" an der Küste der Insel Rügen, wo einst die „Witten Wiwer" (weiße Weiber) ihre Wäsche wuschen. Weder die Legenden von Stonehenge noch die germanisch-christliche Bedeutungsvielfalt der Externsteine sind hier gefragt.

Trotz alledem: die Frauensteine" in unserem Aaper Wald ziehen seit Generationen die Menschen an. Zu den alten Sagen sind durch Historiker, Frauenforscherinnen und Archäologen neue Deutungen hinzugekommen. Das Rätsel um ihren Ursprung aber bleibt. Den Autorinnen - beide seit langem in der Frauengeschichtsforschung tätig ist dieser Bericht ein Anlass, den Ort eingehender zu betrachten.

Zu den gängigen Klischees aus der germanischen bzw. keltischen Mythologie gehört es wohl, dass Priesterinnen und Priester - hier Druiden genannt - in weißen Gewändern unter deutschen Eichen ihre Rituale feiern. Oft werden diese Priesterinnen mit Megalithsteinen in einem Atemzug genannt. Auch sieht man die neokeltischen Druiden oft in Abbildungen, wie sie Misteln auf Bäumen schneiden und wie sie sich mit ihrer kleinen „Gemeinde" auf Hügeln oder in Hainen versammeln. Im Germanen- und Arierkult des Dritten Reiches wurden solche Bräuche gerne aufbereitet.

In der sog. Hallstattzeit (zwischen 800 und 450 vor Christus) baute man Erdhügel über den Gräbern der Verstorbenen. Der berühmteste Grabhügel wurde 1994 in der Wetterau gefunden: er barg spektakuläre Funde, darunter das Fürstengrab mit einer 230 kg schweren vollständig erhaltenen Sandsteinstatue. Glauberg war ein zentrales Heiligtum der Kelten. Da waren die Beweise eindeutig.

Und der Hügel im Aaper Wald? Könnte es sich um eine Grabanlage handeln? Wem hat man hier gehuldigt? Es ist kaum etwas belegt, eindeutig wie in Glauburg ist schon gar nichts. Die Stelle liegt zwar auf einem Hügel mitten in einem herrlichen Buchen- und Mischwald, direkt am Wilhelm-Suter-Weg (gleichzeitig eine der bekannten Trimmstrecken der Region).

Und doch wiederum verborgen, muss man doch noch 40 Erdstufen hochsteigen, bis man die Ansammlung von Steinen entdeckt. Bevor die Treppe angelegt wurde, Sind Generationen von Spaziergängern achtlos daran vorbeigelaufen. Die Faszination, die gewisse Menschen beim Anblick der Steine befällt, ist also nicht allgemeingültig.

Als Bauarbeiter bei den Vorarbeiten zur Trasse der neuen A 44 im Jahre 1989 auf dem Gelände nahe der Theodorstraße in Rath auf neolithische Werkzeuge (ein Steinbeil mit Holzschaft) stießen, waren unerwartet die ältesten Spuren menschlicher Existenz im Düsseldorfer Norden gefunden: Zwischen 5000 und 2000 vor Christus haben Jäger und Bauern hier ihre ersten Siedlungen errichtet. Der Fundort wurde als ein Rastplatz für Jäger identifiziert, weil sich dort zahlreiche Reste von Klingen und Steinen fanden. Dann entdeckte man an der Theodorstraße Spuren eines eisenzeitlichen Brandopferplatzes sowie am ISS Dome Spuren von Opfergaben (Gefäße mit Getreideresten), später dann Aschegruben auf den Feldern nahe Gut Heiligendonk'.

Die Hügelgräber aus der Bronzezeit (1600 bis 1200 vor Christus) auf dem Höhenrücken des Aaper Waldes (an der Rennbahn-Seite) hatten in Düsseldorf wenig Aufsehen erregt. Warum sich dann den Kopf zerbrechen über 2000 Jahre ältere Fundstücke? Man muss es deutlich sagen: ‚Jegliches aufkeimende Bewusstsein und jegliche Neugier für die bislang sträflich. vernachlässigte Frühgeschichte in Düsseldorf wurde trotz der Mahnungen des ehrenamtlichen Archäologen dos Landschaftsverbands Rheinland (Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland), Peter Schulenburg, erfolgreich unterdrückt. Wir sind doch nicht im römischen Köln!

Die Fundstücke wurden artig verpackt und ruhen nun in einem Archiv. Die A 44 birgt unter einem Teil ihres Dammes also die einzigen Relikte einer Kultstätte In diesem Teil der Region. Die einzige Kultstätte? Wie die Aufsehen erregenden Funde zeigten, haben einheimische Historiker bzw. Archäologen absolut nicht mit einer solchen Vielfalt an Funden gerechnet.

Wer sagt uns, dass sich nicht ähnlich spektakuläre Überraschungen im Aaper Wald verbergen, den täglich Hunderte von Spaziergängern, Reitern und Hundebesitzern besuchen? Nicht vergessen werden sollte, dass Generationen von Schulkindern ihre Klassenausflüge zu den Steinen machten.

Sie ließen sich erzählen: das sind die Witte Wiewerkes, und „witt" bedeutet nicht nur weiß, sondern auch weise und gewitzt. Die Kinder ritzten in den weichen Stein meist die Anfangsbuchstaben ihrer Namen. So gibt es denn Schichten von Ritzungen übereinander. Und wer will sagen, was neu, alt oder uralt ist:

Eine der ersten, die den Frauensteinen wissenschaftliche Aufmerksamkeit schenkte, war die renommierte Forscherin und Autorin Marie König (1899-1988) aus Saarbrücken. Sie besuchte im September 1974 das ehemalige Löbbecke-Museum und wollte auf eigenen Wunsch einmal die Steine" sehen. Sie untersuchte die unzähligen Einkerbungen und Symbolmarkierungen, deren Alter leider nicht zu bestimmen ist. Und ihr Fazit war: Hier hat der Mensch seit Jahrtausenden seine Anwesenheit eingeritzt.

Sie verglich diese Ritzungen mit den berühmten Höhlen-Ritzungen und -malereien in der Ile de France. Marie König: Das erste graphische Zeichen der Menschen war die Linie. Auch das Linienkreuz gehört zu den uralten Zeichen, das bereits vom Neandertaler verwandt wurde". Auch auf den Frauensteinen findet man solche Linienkreuze. Welche Bedeutung hatten sie für die Jäger der Steinzeit?

Gehen wir nun getrost einmal davon aus, dass die Steinansammlung ein Kultplatz war. Schließlich deuten die Ortsbezeichnungen „Godesbusch" (Gottesbusch) bzw. „Godesburg". (wie der Stadtteil Grafenberg noch bis ins 17. Jahrhundert hieß) darauf hin, dass es hier eine germanische Kultstätte gab. Anzeichen von Tier- oder Menschenopfern und von einem Kultplatz welcher Art auch immer gibt es nicht, so Archäologe Schulenberg, der die Steine seit Jahren genau kennt.

Auch sind bislang keine Knochenfunde dort entdeckt worden, wie es Archäologen am Forggensee geschah, wo man die Reste von rund 400 Tieren fand. Der Hügel der Frauensteine hat bislang auch keine Hinweise auf Holzbauten oder Palisaden hergegeben. Es war offensichtlich eine Freiluft-Kultstätte, deren Bewaldung wir nur vermuten können.

Wer hier oben an einem klaren Wintermorgen steht, kann weit blicken. Das Auge reicht weit über die Rather Kirchtürme hinweg. Für Menschen der Frühzeit muss der Höhenrücken Aaper Wald, die erste Erhebung aus der Rheinebene, eine wichtige Funktion gehabt haben. Nicht nur, dass man sich bei den ewig wiederkehrenden Hochwassern auf die Hügel rettete, nicht nur, dass die frühen Siedler, das heißt Bauern. ihre Tiere zum Fressen in die angrenzenden Wälder schickten, sondern der Platz dort oben war wie geschaffen für einen Versammlungsort.

Auf der vor wenigen Jahren von der Bezirksvertretung Rath aufgestellten Schrifttafel heißt es:

.Einer Sage nach war der Ur-Rhein über die Ufer getreten und hatte das ganze Land überflutet. Die Menschen flohen auf die Höhen des Aaper Waldes und errichteten mit Steinen einen Altar. Auf diesem opferte eine Priesterin ihr schneeweißes Lieblingspferd, um damit Wotan zu bewegen, die Fluten zu bannen.

Einer anderen Sage nach sollen weiß gekleidete Priesterinnen der Germanen bei heidnischen Opferfesten geweissagt und Zaubersprüche formuliert haben...

Eine weitere Legende wiederum erzählt, dass dort sieben Frauen nach einem Gerichtsspruch in Stein verwandelt wurden. - Die rot gelben Sande, aus denen die Höhen des Aaper und Grafenberger Waldes bestehen, sind Meeressedimente, die im Oligozän einer geologischen Stufe der Braunkohlezeit vor etwa 35 Millionen Jahren abgelagert wurden... Solche größeren Gesteinsbrocken sind mehrfach im Grafenberger und Aaper Wald zu finden.

Das klingt schon sehr professionell, und wir dürfen es ergänzen: Als sich das Meer im Miozän (die Zelt nach dem Oligozän) zurückzog, entstand Festland. Das eintretende subtropische Klima mit großen Niederschlägen löste in den oberen Bodenschichten chemische Prozesse aus, die eine .Zementierung' der großen Quarze durch Kieselsäure zur Folge hatte. So entstand ein sehr festes Gestein, was wir etwas unpoetisch, aber wissenschaftlich Zementquarzit nennen.

Wie auch in den Frauensteinen, kann man auf diesen Blöcken oft die Abdrücke von Baumwurzeln, von Zapfen oder Blättern nachweisen; das heißt im Miozän gab es schon eine interessante Vegetation. Sicher ist - wie das Stadtarchiv Düsseldorf bestätigt - dass die Frauensteine keine vom Inlandeis aus dem Norden transportierten Findlinge sind. Die Meinungen der Wissenschaftler gingen in diesem Punkt bislang auseinander.

Dr. Guntram Fischer schreibt in seinem Buch „Kayserswerth". (Triltsch-Verlag, Düsseldorf) über den Menhir (Gerichtsstein") an der Alten Landstraße in Kaiserswerth: „Möglicherweise in etwa gleichaltrig und gleichwertig die Ablagerung von Quarzitfindlingen, genannt ‚Witte Wiewerkes’, im Aaper Wald bei Grafenberg." Dazu ist anzumerken: Das Alter des Menhirs ist umstritten; ein Vergleich zu den Frauensteinen nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen spekulativ.

‚Hoch owe op d'r AaperHöh'
do wore sibbe Wiewer am Werke,
ze helfe bei Krankheet un Wondeweh,
och Wanderer doden stärke.

Se sammelten Krüder un kochten ne Sood
un hand Blessierte verbonge.
So wirkten se jejen dä fröhe Dod,
oft esd önne jelonge."

Dieses Gedicht von Jupp-Sylvester Kels birgt alles volkstümliche Wissen über die Frauensteine. Der Volksmund nennt sie Witte Wiewerkes", Sibbe Steen" (Siebensteine") oder „Frauensteine". Warum sieben? Vor der „Säuberung" des Platzes - was auch immer damit gemeint ist - sollen dort nur sieben Steine aus dem Boden geragt haben. Heute sind es mehr als ein Dutzend.

Else Rümmier vom Stadtmuseum erzählte Monika Bunte vor Jahren, der Rather Arzt Dr. Paul Boskamp (18711963) hätte die größere Anzahl Steine dorthin schaffen lassen. Es liegt die Vermutung nahe, dass der heidnische Kultplatz bei der Christianisierung (9. Jahrhundert nach Christus) unter Suitbertus, dem Apostel des Bergischen Landes, zerstört wurde. Ein auffallend großer, abgeflachter Stein in der Mitte des Platzes könnte der Altarstein gewesen sein. Wenn es so war, dann wurde er als erstes zum Opfer der christlichen Eiferer.

Ob man Wotan - wie es das Gedicht beschreibt - huldigte, möchten wir - sofern es sich um ein Frauenheiligtum handelt, deutlich verneinen. Wenn hier gefeiert, gebetet oder geopfert wurde, dann waren es die weiblichen germanischen Gottheiten Freya oder Frigga, vielleicht auch die große Mutter Erde, Nerthus, die man meinte. Man hat sich wahrscheinlich zu den Jahreswenden im Frühjahr oder Herbst hier versammelt. Vielleicht auch haben die ersten Siedler ihre Kranken dorthin gebracht, um sie segnen zu lassen.

Priesterinnen haben Orakel und Weisungen mit Weiden- bzw. Buchenstäbchen geworfen und gelegt, bevor man weiterzog oder man bat um den Sieg, wenn es um Kämpfe mit Nachbarstämmen ging. Ebenso mag es sein, dass Priesterinnen, die auch Heilerinnen- und Hebammenfunktionen hatten, kranken und schwangeren Frauen Heilkräuter gaben, darunter den begehrten Beifuss.

Wer heute dorthin kommt, kommt nicht zufällig. Es sind neben Historikern und Archäologen oftmals Frauen, die besonderen geomantischen Spürsinn aufweisen. Sie fühlen die Kraft des Ortes, die Kraft der Millionen Jahre alten Steine, die soviel erzählen könnten. Die hohen Buchenstämme am Ort selbst sind auch nicht ohne Hinweise auf menschliche Besucher geblieben; auch hier hat man Ritzungen vorgenommen. Auf einer morschen Sitzbank konnte man jahrzehntelang die Odalsrune und die Giborrune entdecken. Inzwischen ist die Bank durch eine neue ersetzt worden.

Die Germanen weihten ihre Haine und ihre Quellen. Die katholische Kirche weiht ihre Kirchen, wir weihen unsere Häuser und Wohnungen ein. Der Ursprung ist derselbe. Die Frauensteine im Aaper Wald sind mit größter Wahrscheinlichkeit ein solch geweihter Ort. Wir können ihn besuchen wie wir wollen: beim Joggen, beim Wandern, beim Picknicken: Er fasziniert uns, weil das Geheimnis um seinen Ursprung noch nicht gelüftet ist.

Ob sich im Hügel unter den Steinen eine Grabanlage befindet, darf einmal gefragt werden: Warum soll es neben dem Kultplatz an der Theodorstraße nicht diesen zweiten Weiheplatz geben? Den einen hat man per Zufall beim Autobahnbau entdeckt? Was können wir uns einfallen lassen, um eine offizielle Grabe-Genehmigung zu bekommen? Es bleibt spannend um die Frauensteine im Aaper Wald.

Monika Bunte und Antje Olivier


Literatur zum Thema:
Düsseldorfer Sagen in Stadt und Land". Düsseldorf 1926 (1982)

Else Rümmler: Von Straßen, Hausern und Menschen. Aufsätze zur Topographie und Geschichte des alten Düsseldorf. Düsseldorf 1992.

Denkmalbehörde Landeshauptstadt Düsseldorf (Hrsg.): Vom Steinbeil zum Schmelzofen. 5000 Jahre Kulturgeschichte im Düsseldorfer Norden. Düsseldorf 2006.

Olivier, Antje: „Da war doch was mit Mannesmann". Stadtteilrundgang durch Düsseldorf-Rath, in: Düsseldorf zu Fuß", Essen 2009.

Spiesberger, Karl: Runenmagie. Berlin 1954.

Pathflnder Ewing, Jim: Heilende Energien von Kraftplätzen und heiligen Orten. Grafing 2008.

Kuckenburg, Martin: Kultstätten und Opferplätze in Deutschland. Von der Steinzeit bis zum Mittelalter. Stuttgart 2007

Göttner-Abendroth, Heide (Hrsg.): Mythologische Landschaft Deutschland. Bern 1999.

Gartenamt der Landeshauptstadt Düsseldorf '(Hrsg.) Das Forstrevier Mitte". 201

Hierstätter, Jörg: Geschichtliches im Aaper-, Grafenberger und Gerresheimer Wald, Düsseldorf, 2010, DVD

Trimmpfad und weiße Frauen". Wanderung durch Jahrmillionen. In: Rheinische Post, 26. 9.1974

Steine geben Rätsel auf". Die Witte Wiewerkes. In: Rheinische Post, 16.1.1990