Region 2
Ostseeküste, Mecklenburgische Seenplatte

Boitin: Eine Reise zu den Steinen

ein Erlebnisbericht

von Daniela Parr


Der Steintanz von Boitin

Vor einigen Jahren haben wir den Steinkreis von Boitin schon einmal besucht. Beim letzten Mal sind wir mehrfach an dem Waldweg vorbeigefahren und mussten drei Mal nach dem Weg fragen, da damals noch keine Wegweiser vorhanden waren. Ein Mann erzählte uns, dass der Platz nicht ausgeschildert sei, um zu verhindern, dass sich rechtsradikale Gruppen an diesem Ort treffen. Damals lag das Hinweisschild mit den Erklärungen zum Steinkreis zerstört auf dem Boden. An mehreren Stellen entdeckten wir Feuerstellen und es lag einiges an Müll herum. Die kleine Lichtung im Wald wirkte unaufgeräumt und energetisch unangenehm.

Nun, bei unserem zweiten Besuch, ist der Platz gut ausgeschildert. Erfräut bemerken wir, dass sich auch sonst einiges getan hat. Unter anderem wurde das Hinweisschild mit Informationen zum Steinkreis wieder aufgestellt und um ein weiteres informatives Schild ergänzt. Auch energetisch wirkt der Platz wie verwandelt: Er hat jetzt etwas Harmonisches und strahlt eine ruhige Energie aus.

Auf einem kleinen Schild steht geschrieben:
"Die Steinkreise von Boitin wurden erstmals 1765 in der Zeitschrift "Bützowsche Ruhestunden" erwähnt.
1890 ließ Oberförster Juergens die umgestürzten Steine wieder aufrichten und einen Wall um die Steinkreise
aufschütten, dessen Reste heute noch zu sehen sind.
Die erste wissenschaftliche Untersuchung nahm der Schweriner Archäologe Robert Beltz 1929 vor. Er stieß
dabei auf zwei mit Steinen eingefaßte Feuerstellen und eine eisenzeitliche Urne mit Leichenbrand.
Dadurch lassen sich die Boitiner Steinkreise oder - wie sie auch bezeichnet werden - Steintänze den eisenzeitlichen Grabmarkierungen zuordnen, die in dieser Zeit im gesamten Ostseeraum verbreitet waren. Vor allem in Polen und Skandinavien treten auf den Urnenfriedhöfen große Gruppen solcher kreisförmigen Steinsetzungen auf.
Die Löcher in der sogenannten Brautlade zeugen von dem Versuch, die Steine zu sprengen und zu Baumaterial zu verarbeiten. Vor allem im frühen 19. Jahrhundert wurden zahlreiche archäologische Denkmale auf diese Weise zerstört."

Gleich daneben lesen wir auf dem großen Schild die Sage zum Boitiner Steintanz. Sie ist in Schreibschrift per Hand geschrieben worden:
"Im Dorf Dreetz fand vor langer Zeit eine prächtige Bauernhochzeit statt. Alle Anwesenden waren vergnügt und lustig und die Feier war in vollem Gange. Einige Bauern kamen in ihrem Übermut auf den Gedanken, mit Lebensmitteln wie Broten, Kuchen und Würsten zu kegeln. Ein Geist in der Gestalt eines alten Mannes, der beim Fest plötzlich auftauchte, forderte sie auf, diesen Frevel zu beenden. Die Bauern verspotteten den alten Mann und hörten nicht auf ihn. Als Bestrafung wurden darauf alle Teilnehmer des Festes in Steine verwandelt (Großer Steintanz). Auch der Brautschatz (Brautlade) blieb nicht von der Verwandlung verschont.

Ein Schäfer und sein Hund hüteten in der Nähe eine Herde Schafe. Er hatte dem Geschehen zugeschaut, sich aber nicht am Kegeln beteiligt. Der alte Mann forderte ihn auf, sofort mit seinen Schafen zu entfliehen und dabei nicht zurück zu sehen. Der Schäfer befolgte den Rat. Als er schon etwas vom Festplatz entfernt war, wurde er doch zu neugierig. Damit er das Verbot nicht brechen musste, dreht er sich nicht um, sondern bückte sich und sah zwischen seine Beine hindurch. In diesem Augenblick wurden er, sein Hund und die Herde auch zu Steinen (Kleiner Steintanz).

In der Johannisnacht (24. Juni) soll aus dem 13. Loch der Brautlade ein roter Faden heraushängen. Ein Jüngling, der mutig genug ist, den Faden herauszuziehen, kann damit alle erlösen und den Schatz der Brautlade behalten."


Der sogenannte "Steinkreis von Boitin" besteht aus vier Steinkreisen. Drei davon liegen dicht beisammen auf einer von Buchen gesäumten Lichtung im Wald. Der vierte Steinkreis befindet sich etwa 150 Meter südöstlich der drei Kreise.

Der größte der drei Kreise besteht aus 9 aufrecht stehenden Steinen und hat einen Durchmesser von circa 14 m. Der zweitgrößte Steinkreis besteht aus 8 teilweise stehenden, teilweise liegenden Steinen. Einer der Steine ist in zwei dicht beieinanderliegende Hälften zerbrochen. Dieser zweite Kreis hat einen Durchmesser von ungefähr 13,5 Metern. Der kleinste Kreis wird aus 7 Steinen gebildet. Er hat einen Durchmesser von etwa 7,5 Metern. Zwischen zweien seiner Steine existiert eine größere Lücke. Das könnte darauf hindeuten, dass hier ein Stein entfernt wurde. In dem Fall hätte er auch 8 Steine gehabt, so wie der zweite Kreis.

Interessant sind die geometrischen Zusammenhänge der drei Kreise. Die Entfernung vom Mittelpunkt des größten Kreises zum Mittelpunkt des zweitgrößten Kreises sowie die Entfernung vom Mittelpunkt des größten Kreises zum Mittelpunkt des kleinsten Kreises beträgt circa 18 Meter. Vom Mittelpunkt des zweitgrößten zum Mittelpunkt des kleinsten Kreises sind es ungefähr 29 Meter. Ihre Mittelpunkte bilden also ein exakt gleichschenkliges Dreieck oder, je nach Betrachtung, zwei rechtwinklige Dreiecke.

Der Mittelpunkt des kleinsten Kreises liegt genau nördlich des Mittelpunktes des größten Kreises. Eine der Linien des gleichschenkligen Dreiecks verläuft also genau in Nord-Süd-Richtung. Mittels dieser Bezugslinie ist es möglich, den Horizontalwinkel der Sonne zu bestimmen.

Auf einer Linie vom Mittelpunkt des kleinsten Kreises zum Mittelpunkt des zweitgrößten Kreises liegt in 150 Metern Entfernung der vierte Kreis. Diese Linie weist in Richtung 133°11'29'', d.h. genau zum Punkt des Sonnenaufgangs zur Wintersonnenwende. Der Steinkreis von Boitin diente also unseren Vorfahrinnen zur Beobachtung der Gestirne und zur Bestimmung der Zeitpunkte der beiden Sonnenwenden. (*)

Im zweiten Kreis des Steinkreises befindet sich die sogenannte "Brautlade". Dieser aufrecht stehende, nach oben spitz zulaufende Stein weist 13 untereinanderliegende Löcher auf: Zwölf davon liegen oberhalb, eins unterhalb der Erde. Es wird vermutet, dass der Stein früher flach auf dem Boden lag, sodass in früheren Zeiten alle Löcher sichtbar waren.

Bei unserem Rundgang zwischen den drei Steinkreisen fallen uns zwei Steine besonders auf. Der eine ist lang und dünn, der andere klein und breit. Sie wirken trotzdem oder gerade deswegen so, als ob sie zueinander gehören. Sie erinnern mich an zwei Steine, die mir in Frankreich an den Steinreihen von Carnac begegnet sind. Oft weisen solche Steinpaare eine entgegengesetzte Energie auf. Der eine Stein entzieht Energie, der andere Stein spendet sie. Interessanterweise kann dieser Effekt für jede Frau unterschiedlich sein. Zapplige Menschen können mit dem einen Stein zur Ruhe kommen, antriebslose Menschen können sich an dem anderen Stein aufladen, oder auch umgekehrt. Dies funktioniert am besten, wenn frau sich an den jeweiligen Stein anlehnt.

Auf der anderen Seite des Waldweges ragen einige kleinere Steine aus dem Waldboden heraus. Wir entdecken den vierten Steinkreis zwischen den Bäumen und knapp hinter einer Bodensenke. An einem der Bäume ist ein in Folie eingeschweißtes, schon leicht verwittertes Blatt Papier befestigt, das die Zusammenhänge der vier Kreise mit den Sonnenwenden anschaulich aufzeigt. Dieser Zeichnung entnehmen wir, dass es sich bei der Bodensenke um einen Wassergraben handelt.


(*) gezeichneter Plan von Werner Timm,
Mecklenburgs "Steintanz",
10. September 1928,
Wikipedia (gemeinfrei)


Langstei
ngrab und Hügelgräber im Boitiner Wald

Auf einer Landkarte entdecken wir, dass sich südlich von Boitin im Tarnower Forst Hügelgräber befinden. Das Flurstück, das wir betreten, trägt den Namen "Herrenholz". Gleich vorne begrüßt uns ein kleines Moor. Auf einem braunen Schild lesen wir: " 1 Langsteingrab, 5 Hügelgräber". Wir folgen dieser Beschilderung in ein hübsches Wäldchen. Links von uns blüht die Waldmeisterin und erfräut uns mit ihren weißen Blüten. Ab und zu liegt ein Baumstamm quer im Wald. Es wirkt alles sehr naturbelassen und urtümlich in diesem mystischen Waldstück.

Bereits
kurz darauf erkennen wir rechts des Weges die großen seitlichen Umfassungssteine eines Langsteingrabes. Dieses ehemalige Hügelgrab wurde ausgegraben und archäologisch untersucht. Deshalb liegen sowohl die Decksteine, als auch die seitlichen Steine frei. Normalerweise bleibt dieser Aufbau im Verborgenen. Es fasziniert uns, hier das Innenleben eines früheren Langsteingrabes anschauen zu können. Die einzelnen Steine sehen so aus, als ob sie nach den Ausgrabungen aufgerichtet und gerade gestellt wurden. Auf den Steinen wächst so gut wie kein Moos. Ihre glatte Oberfläche fasst sich gut an.

Der längliche Stein in der Mitte dieses Megalithgrabes liegt teilweise auf einem anderen Stein auf. Als wir näher kommen, erkennen wir die Schälchen, die in den Stein gekratzt wurden. Es handelt sich um einen
Altarstein. Die Schälchen sind dazu gedacht, um darin Gaben für die Göttin abzulegen. In einer der Vertiefungen liegen Hülsen von Bucheckern. Wir befüllen zwei weitere Schälchen mit dem, was wir in unseren Taschen an Gaben finden können.

Schließlich schauen wir uns nach den Hügelgräbern um. Für uns ist es schwierig zu entscheiden, welche der Erhebungen im Wald ein Langsteingrab oder ein normaler Hügel ist. Bei zwei Erhebungen sind wir uns sehr sicher, dass es die auf dem Hinweisschild angekündigten Hügelgräber sind, bei allen anderen können wir nur spekulieren. Für uns ist es sehr interessant zu sehen, dass nur bei einem der Megalithgräber die Steine im Inneren freigelegt wurden und die fünf anderen in ihrer ursprünglichen Form als Hügel bestehen gelassen wurden. Wenn wir uns die Bäume wegdenken, können wir einen guten Eindruck gewinnen, wie es hier in früheren Zeiten ausgesehen haben könnte.

Daniela Parr